Andrea Liebers spricht über ihr Schulschwein

"Ich beobachte und tauche in diese Kinderatmosphäre ein."

Beitrag von Janett Cernohuby | 23. Oktober 2019

Der Schulalltag hält für Kinder viele große und kleine Herausforderungen bereit. Neben dem Lernen verschiedener Schulfächer müssen sie den sozialen Umgang miteinander üben. An erster Stelle steht da das Miteinander im Klassenverband. Andrea Liebers erzählt von diesem Miteinander in zwei liebenswerten Kinderbüchern, die sich ganz unterschiedlichen Schwerpunkten widmen. Im ersten Band, „Finn macht es anders“, geht es um Mobbing, der zweite Band, „Das Schulschwein“, beschäftigt sich mit der Vermittlung zwischen kulturellen Wertvorstellungen. Wir haben die Frankfurter Buchmesse genutzt, um mit der Autorin über diesen zweiten Band zu sprechen.

Andrea Liebers Das Schulschwein

Im Schulalltag werden Kinder mit vielen großen und kleinen Problemen konfrontiert. Mit welchem muss sich Finn in Ihrem jüngsten Buch „Das Schulschwein“ auseinandersetzen?

Beim Schulschwein geht es um das Zusammenleben verschiedener Religionen und Kulturen in der Schule und in der Schulklasse.

Warum gerade dieses Thema und kein anderes?

Weil ich bei meinen Lesungen und in Schreibwerkstätten damit oft konfrontiert worden bin. Aber auch von Lehrerinnen und Lehrern wurde ich darauf angesprochen, dass sie zu diesem Thema ein Buch bräuchten. Es gibt zwar genug Bücher, aber wie die Lehrerinnen und Lehrer UND die Schüler und Schülerinnen gesagt haben, sind diese viel zu ernsthaft, zu pädagogisch wertvoll und zu langweilig. Das war für mich eine Herausforderung. Das Thema finde ich super spannend und die Charaktere der muslimischen Kinder sind unheimlich vielschichtig und facettenreich. Das hat mich gereizt und ich habe versucht, es umzusetzen. Über verschiedene Lehrerinnen und Lehrer habe ich Familien vermittelt bekommen, die ich zur Recherche besucht und befragt habe. Ich wollte wissen, was die Probleme sind, wie ihre Sicht ist. Ich kenne es ja nur aus meiner, der nicht-muslimischen Sicht. Dadurch kam ich auf das Schwein. Wegen dem Schweinefleisch.

Da gibt es ja zu Beginn im Buch eine ganz witzige Stelle, in der Finn das Schwein als Klassentier vorschlägt und Mehmet erwidert, er darf kein Schweinefleisch essen. Als Antwort bekommt er zu hören, dass er es ja auch nicht essen soll.

Und genau das kommt von meinen Recherchen. Sie glauben es nicht, es geht immer nur ums Essen. Das haben mir auch die Lehrerinnen bestätigt. Wenn ein Schulfest stattfindet, alles aufgebaut ist, gehen die türkischen Mütter erst alles einmal ab und fragen, ob im Essen Schweinefleisch enthalten ist. Das ist so ein zentrales Thema. Deswegen denkt auch Mehmet beim Wort Schwein nur ans Essen.

Also ist es gar kein Klischee, das Sie da aufgreifen, sondern gelebter Alltag.

Es ist DAS Thema.

Es gibt ja noch eine weitere Situation, in der sich Laila neben Finn setzt und von Mehmet kritisiert wird: Ein muslimisches Mädchen darf sich nicht neben einen Jungen setzen. Ist das auch ein Klischee oder ebenfalls Alltag?

Bei streng erzogenen muslimischen Kindern ist das so. Diese Kinder sind wahrscheinlich sehr in der Minderheit. Aber solche Fälle gibt es, der ist mir auch so von einer Lehrerin aus einer Schule berichtet worden.

Es gibt also noch viele Schwierigkeiten, denen wir im Schulalltag begegnen.

Ja. Zuerst hatte ich mir überlegt, ob ich vielleicht das Thema Schwimmunterricht aufgreife. Ganz viele muslimische  Mädchen dürfen ja nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, da sie keinen Bikini oder Badeanzug anziehen dürfen. Es gibt Schulen, in denen das ein großes Problem ist und wo die Eltern strikt dagegen sind.
Dann war mir das Thema allerdings doch zu klischeemäßig. Außerdem kann man es nicht witzig verpacken - und mein Hauptziel war es ja schließlich, die Geschichte witzig und lebendig zu schrieben. So kam dann das Schulschwein, das sehr gut passt.

Interview Andrea Liebers Das Schulschwein

Gibt es noch andere Schwierigkeiten im interkulturellen Dialog?

Ausflüge. Vor allem die Mädchen, die streng erzogen sind, dürfen nicht ohne Aufsicht bei Lesenächten oder im Schullandheim übernachten.

Wo und wie würden Sie sich wünschen, dass ihre zwei Finn-Titel eingesetzt werden?

Ich hatte jetzt schon einige Lesungen mit dem Buch und es kommt unheimlich gut an, vor allem in den Brennpunktschulen. Ich fange an zu lesen und die Schülerinnen und Schüler wissen sofort Bescheid. Sie erkennen sich in der Geschichte wieder. Aus einer dieser Schulen habe ich von einer Lehrerin die Rückmeldung bekommen, dass sie durch das Buch bestimmte Dinge endlich einmal richtig und ausführlich thematisieren konnte. Ich glaube, dafür ist es gut.

Also bietet es eine Gesprächsgrundlage.

Ja.

War das auch der Wunsch, den Sie beim Schreiben hatten?

Ja, den hatte ich. Bevor das Buch veröffentlicht wurde, habe ich eine Probelesung in einer multikulturellen Schule mit genau diesen Problemen gehalten. Das war mein Test, wie das Buch bei Kindern ankommt. Und sie waren begeistert! Sie haben genau das gesagt, was ich gehofft hatte: „Endlich mal ein Buch, das dieses Thema lustig anpackt. Jetzt haben wir Lust, uns darüber zu unterhalten.“
Das fand ich sehr beruhigend.

Ich habe einen Anruf vom Kinder- und Jugendliteraturinstitut Frankfurt bekommen. Auch hier hieß es, wie begeistert man von meinem Buch ist, dass man bereits viele Bücher zum Thema kenne, aber keines so gut gefallen hat. Es war ein Buch, auf das man regelrecht gewartet habe.
 
Also hat es den Nerv getroffen.

Weil es lustig ist. Weil es nicht diesen pädagogisch erhobenen Zeigefinger hat. Und weil es so überraschend und liebevoll endet.

Das überraschende, ganz andere Ende haben Sie ja auch in „Finn macht es anders“ eingebaut. Da fragt man sich ja bis zum Schluss, wie wird die Situation aufgelöst.

Aus „Finn macht es anders“ habe ich auch schon viel vor Klassen vorgelesen. Es kommt völlig anders an, als das Schulschwein. Beim Schulschwein lachen die Kinder mit. Beim Finn sind alle mucksmäuschenstill. Schweigen. Betroffenheit. Und dann geht es los. Es kam schon vor, dass ein Kind aufgrund der Mobbing-Thematik geweint hat.
Finns Verhalten, dass er das Mobbing für sich behält, ist ja pädagogisch nicht korrekt. Nor-malerweise sagt man, Kinder sollen sich jemandem anvertrauen. Ich selbst habe aber die Erfahrung gemacht, dass viele nicht darüber reden, weil sie keine Heulsuse oder Petze sein wollen. In einer Schreibwerkstatt habe ich mitbekommen, wie ein Mädchen furchtbar gemobbt wurde. Ich fragte sie, warum sie nichts sagt, darauf erwiderten andere Mädchen empört: „Sie will ja denjenigen nicht verpetzen.“ Das Mädchen sagte, sie will nicht gemobbt werden und auch noch eine Petze sein.
Da wurde mir einiges klar. Das war der Anlass für das Finn-Buch.

Interview Andrea Liebers Das Schulschwein

Erkennen sich die Kinder in „Finn macht es anders“ wieder?

Definitiv. Sowohl die gemobbten als auch die mobbenden Kinder. Im Buch sind es ja drei Jungs, die mobben: Max, Sven und Paul. Ich habe nach einer Lesung von einer Lehrerin die Rückmeldung bekommen, dass sie durch das Buch die mobbenden Kinder in ihrer Klasse einmal damit konfrontieren konnte, was sie da eigentlich auslösen. Die Geschichte kommt hinten rum. Es geht nicht um die Schüler in der Klasse, sondern um die Figuren im Buch. Dadurch, dass man über das Buch redet, redet man gleichzeitig über sie und die Kinder sind offener, das überhaupt mal einmal an sich ranzulassen. Was sie da tun, was sie in Gang setzen.
Ebenso habe ich von Lehrern gehört, dass sie es gut finden, einmal diese Perspektive zu hören und zu erfahren, was Kinder bewegen kann, nicht gleich über Mobbing zu sprechen.

Was ist Ihr Geheimrezept, dass die Bücher so gut ankommen?

Ich glaube das liegt daran, dass ich durch die vielen Lesungen und vor allem die Arbeit in den Schreibwerkstätten viel mitbekomme. Ich beobachte und tauche in diese Kinderatmosphäre ein. Gerade in den Schreibwerkstätten, wenn die Kinder schreiben, kann ich mich auch einmal entspannt dazu setzen und einfach beobachten was passiert. Das ist sehr hilfreich.

Wird es noch andere Themen aus dem Schulalltag geben, mit denen sich Finn ausei-nander setzen muss?

Es gibt genug, was man noch in den Fokus nehmen könnte. Schule ist unerschöpflich.

Gibt es andere Buchprojekte, an denen Sie gerade arbeiten?

Ja, ich arbeite an einem Buch zum Thema Plastikmüll. Aber auch wieder ganz anders, als man denkt.

Müssen Bücher pädagogisch wertvoll sein?

Ich glaube Eltern denken, Bücher sollten pädagogisch wertvoll sein, damit ihre Kinder etwas lernen. Meine Erfahrung ist, Kinder spüren sofort, wenn eine Absicht dahinter steckt und dann schalten sie auf taub.

Liebe Frau Liebers, vielen Dank, dass Sie sich hier auf der Messe Zeit für uns und unsere Fragen genommen haben.


 

Das Schulschwein
Das Schulschwein
Andrea Liebers

Peter-Hammer-Verlag
Gebundene Ausgabe, 32 Seiten
ISBN: 978-3-7795-0621-8
Alter: ab 6 Jahre
Preis: 9,90 €

Finn kann es kaum erwarten, heute in die Schule zu kommen. Er hat einen großartigen Vorschlag für das Schultier-Projekt. Doch bis er diesen verraten kann, muss er sich zunächst mit einem anderen Problem auseinandersetzen. Neben ihm ist nämlich noch ein Platz frei und da hat sich prompt Laila hingesetzt. Finn stört das nicht, aber der starke Mehmet hat etwas dagegen. Schließlich ist Laila Türkin und ein türkisches Mädchen darf nicht neben einem Jungen sitzen. Schon gar nicht einem deutschen Jungen. Es geht also hoch her, als die Lehrerin den Raum betritt. Und die Diskussion geht noch weiter. Denn nachdem Finn seinen Vorschlag gemacht hat - ein Minischwein könnte das neue Schultier werden - protestiert Mehmet erneut. Schweine sind unrein und daher geht das gar nicht. Ausgerechnet in diesem Moment taucht Miss Piggy, das Minischwein von Finns Tante, in der Schule auf und weicht Mehmet nicht mehr von der Seite…

Zur vollständigen Rezension

 

Finn macht es anders
Finn macht es anders
Andra Liebers

Peter-Hammer-Verlag
Gebundene Ausgabe, 32 Seiten
ISBN: 978-3-649-7795-0582-2
Alter: ab 6 Jahre
Preis: 9,90 €

Seit ein paar Wochen geht Finn mit einem flauen Gefühl im Bauch zur Schule. Und genau wie jeden Morgen warten sie auch heute schon auf ihn: Sven, Max und Paul. Sie kassieren seien Frühstücksdose ein, machen sich über das Ökobrötchen und die Kapuzinerkresseblüten lustig und werfen dann alles in den Dreck. Auch während des Unterrichts hat Paul keine Ruhe vor den dreien. Die anderen Klassenkameraden schauen weg. Sie haben offenbar zu viel Angst, als dass sie Finn helfen. Doch da geschieht etwas Ungewöhnliches. Die Polizei taucht plötzlich im Klassenzimmer auf und beschuldigt Sven, Max und Paul, etwas Schlimmes getan zu haben. Nun ist Finns große Stunde gekommen, denn er weiß genau, wo die drei an diesem Morgen gewesen sind.

Zur vollständigen Rezension
Andrea Liebers spricht über ihr Schulschwein