---

Zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden ist einfach, solange man persönlich nicht betroffen ist und die Konsequenzen aus einer solchen Entscheidung nicht weitreichend. Doch wie verhält man sich wirklich, wenn man plötzlich unmittelbar selbst betroffen ist? Wenn man durch Ehrlichkeit vielleicht eigenen Pläne oder die nahestehender Menschen negativ beeinflusst? Eine schwere Frage, der sich auch die Protagonistin aus Huntley Fitzpatricks Roman "Mein Sommer nebenan" stellen muss.

Samantha Reed ist wohlbehütet und in einer gut situierten Familie aufgewachsen. Ihre Mutter ist das Paradebeispiel in so ziemlich allen Dingen. Daher verbietet sie ihrer Tochter auch seit jeher den Umgang mit den Nachbarn, den Garretts. Denn die Garretts entsprechen nicht dem Idealbild von Samanthas politisch ambitionierter Mutter: Sie haben viel zu viele Kinder (acht), sind laut, chaotisch und bunt. Doch in diesem Sommer lernt Samantha den 17jährigen Jase Garrett kennen. Es dauert nicht lange und die beiden kommen sich näher. Samantha liebt es, Zeit mit der Familie von Jase zu verbringen, nicht zuletzt, weil sie dort auch mit offenen Armen aufgenommen wird. Stets ist Samantha darauf bedacht, die Beziehungen zur Nachbarsfamilie vor ihrer Mutter zu verbergen. Das gelingt ihr auch gut, denn Mrs. Reed ist ganz mit ihrem Wahlkampf und ihrem Wahlkampfhelfer beschäftigt. Doch dann kommt es zu einem großen Unglück, welches Samantha nicht nur vor die moralische Frage nach Recht und Unrecht stellt, sondern in der ein falsches Wort auch die politische Zukunft ihrer Mutter zerstören kann. Welche Entscheidung wird Samantha treffen?

Der Debütroman von Huntley Fitzpatrick ist mehr als nur ein Liebesroman. Zwar steht die Beziehung zwischen Samantha und Jase im Vordergrund, jedoch werden auch sozialkritische Aspekte aufgegriffen. Das geschieht jedoch sehr feinfühlig und vor allem auf das Alter der Zielgruppe abgestimmt. Oberflächlich betrachtet erlebt man mit Samantha die erste große Liebe. Wie sie hat man jedes Mal Schmetterlinge im Bauch, wenn sie sich mit Jase trifft. Der erste Kuss, das erste Mal - alles wird so einfühlsam geschildert, als wäre es die eigene Erinnerung an die erste große Liebe. Doch stets wird das junge Glück von den sozialen Unterschieden überschattet. Denn anders als Samantha wird Jase nicht in die Familie Reed integriert. Er lernt über lange Zeit die Familie Reed nicht einmal kennen oder darf mehr vom Haus sehen als das Vordach und Samanthas Zimmer. Erst als Samantha Stellung beziehen muss, kommt es zum Zusammentreffen mit ihrer Mutter.
Noch einen weiteren Schwerpunkt spricht die Autorin an: Wahrheit und Ehrlichkeit. Ohne zu viel verraten zu wollen, kommt es zu einem schweren Schicksalsschlag und Samantha sieht sich mit einer Situation konfrontiert, welche die meisten Erwachsenen nicht meistern können. Soll sie zu ihrer Familie halten und Unrecht tun oder soll sie jene Ehrlichkeit an den Tag legen, die ihre Mutter ihr stets gepredigt hat, dabei aber die Zukunft der eigenen Familie aufs Spiel setzen? Eine schwere Entscheidung, an der Samantha aber nicht nur reift, sondern auch über sich selbst hinauswächst. Sie ist bereit, die Konsequenzen zu tragen und zeigt somit eine Charaktereigenschaft, die vielen fehlt.
Einziger Wehrmutstropfen ist der Schluss der Geschichte. Dieser ist zu glatt, zu sehr marke "Heile-Welt" geschrieben. Andererseits verständlich, hätte ein realistischeres Ende sicherlich den Rahmen des Buches gesprengt. Daher ist das ein wenig missglückte Ende verzeihlich, stimmt doch der Rest des Romans.