Seitenwechsel

von Michael Römling
Rezension von Janett Cernohuby | 30. Juli 2014

Seitenwechsel

Ein Seitenwechsel findet dann statt, wenn man die Schallplatte von einer Seite auf die andere wendet. Oder wenn eine Fußballmannschaft nach der Halbzeit auf die andere Spielhälfte wechselt. Ja selbst wenn man seine politische Meinung ändert, kann man von einem Seitenwechsel sprechen. Doch nicht immer waren solche Seitenwechsel frei von Konsequenzen. Wollte man beispielsweise als Bürger der DDR plötzlich die Seiten wechseln und in die BRD auswandern, waren die Probleme vorprogrammiert. Davon erzählt auch Michael Römlings Roman "Seitenwechsel".

Zu Beginn des Sommers 1961 ahnt noch niemand, welche folgenschweren Ereignisse dieser mit sich bringen wird. Zu seinem Beginn verläuft das Leben in Berlin noch in seinen mehr oder weniger normalen Bahnen. Die Brüder Julius und Bernhard leben mittendrin, in Ostberlin. Beide unterhalten eine Freundschaft zum Westberliner Georg und dem amerikanischen Soldaten Jack. Doch während Bernhard sich mehr für sein Biologiestudium interessiert, tingelt Julius durch Bars und Kneipen und verdient sein Geld damit, Jazzplatten zu verkaufen. Als Bernhard Zeuge wird, wie sowjetische Soldaten seltsame Gegenstände in einem Sperrgebiet abladen, nimmt das Leben der Brüder eine dramatische Wendung. Ihr Vater wird erhängt in seiner Wohnung gefunden. Offiziell wird es als Selbstmord dargestellt, doch die Brüder glauben nicht daran. Zu vieles deutet auf Mord hin. Als sie in der Wohnung ihres Vaters belastendes Fotomaterial finden, wird es für sie brenzlig. Plötzlich sitzt ihnen die Stasi im Nacken und fängt sie mehr als einmal zum Verhör ab. Julius und Bernhard ist klar, dass sie nach Westberlin flüchten müssen. Doch in der Nacht, in der sie fliehen wollen, geschieht das Unfassbare: Die Sektorgrenze wird abgeriegelt und die Machthaber der DDR beginnen mit dem, was heute als Bau der Berliner Mauer bezeichnet wird. Doch noch haben Julius und Bernhard nicht aufgegeben, wenngleich eine Flucht immer unwahrscheinlicher scheint...

Vieles von dem, was im Roman erzählt wird, klingt wie ein spannender Thriller. Doch das Leben ist kein Thriller. Spricht man heute mit Zeitzeugen über jene Ereignisse, wird einem die Brisanz der im Buch geschilderten Situationen erst wirklich bewusst. Vieles wovon Michael Römling hier erzählt und was wie ein schlechter Film anmutet, war tatsächlich so. Eine Stadt, die durch einen Stacheldraht (der später zur Mauer wurde) in zwei Staaten geteilt wurde - das ging so weit, dass sogar schon die andere Seite der Straße nicht mehr das eigene Land war. Nachbarn, ja selbst Familienmitglieder, die plötzlich zum Klassenfeind wurden. Das Verbreiten von Lügen, dass der böse Westen Technik, Geräte, Arbeitskräfte des eigenen Landes stiehlt und dass es selbigem deswegen so schlecht geht, war an der Tagesordnung. Und nicht zuletzt war da die ständige Angst vor einem drohenden Atomkrieg.
Diese und weitere Momentaufnahmen beschreibt Michael Römling in seinem Jugendroman "Seitenwechsel". Dabei spricht das Buch nicht nur jugendliche Leser an, sondern könnte durchaus auch für Erwachsene interessant sein, die diese Zeit vielleicht selbst miterlebt haben oder in deren Folgejahrzehnten herangewachsen sind.
Ob das Buch spannend ist, darüber braucht man sich keine Sorgen zu machen. Denn das ist es. Mehr sogar. Es fesselt, es wühlt auf.
Schon auf den ersten Seiten fiebert man mit, wenn Bernhard heimlich ins Sperrgebiet eindringt und dort ungewollt sowjetische Soldaten beobachtet, obwohl er eigentlich einem Luchs auf der Spur war. Genauso kritisch wird es als plötzlich die Polizei im Haus seines Vaters steht oder er später von der Stasi vorgeladen wird.
Doch auch auf der anderen, westlichen Seite geht es nicht minder ereignisreich und spannend zu. Wenngleich sich die Ereignisse um den Amerikaner Jack eher um politisch-militärische Ereignisse drehen, sind sie bei weitem nicht uninteressant. Denn hier kann man die Kämpfe zweier Mächte beobachten, bei denen es auf den ersten Blick um Schikane ging, auf den zweiten aber um weitreichende politische Gesten. Und ständig schwebte das Damoklesschwert über allem und drohte mit einem dritten, atomaren Weltkrieg.
So wird aus einem historischen Jugendroman ein packendes Stück Zeitgeschichte, das freilich schriftstellerisch verändert wurde, aber in seinem Grundtenor die Dramatik jener Tage nicht in Vergessenheit geraten lässt.

Kurz gefasst ist "Seitenwechsel" weit mehr, als ein historischer Unterhaltungsroman. Er ist die Momentaufnahme eines wichtigens Teils deutscher Geschichte. Jenes Teils, als ein Eiserner Vorhang zwischen den Menschen einer Nation errichtet wurde und sie so auf lange Zeit voneinander trennte. Er ist ein Ausschnitt aus den Anfängen des Kalten Krieges, zusammengefasst und niedergeschrieben in moderner Sprache und mit einer fiktiven Handlung, die sowohl Jugendliche als auch Erwachsene anspricht.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    06/2014
  • Umfang:
    448 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    14 Jahre
  • ISBN 13:
    9783649615170
  • Preis (D):
    17,95 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gefühl:
    Keine Bewertung