Interview mit dem Grolltroll-Team
"Jeder kennt diese Momente, in denen man innerlich explodieren möchte…"
Beitrag von Janetts Meinung | 07. November 2018
Welche Familie kennt diese Situation nicht. Gerade noch ist das Kind mit Begeisterung dabei einen Bauklotz auf den nächsten zu setzen. Doch dann kracht es. Der schöne Turm ist umgefallen! Man kann sie förmlich sehen, die dunklen Wolken, die sich über dem Kind zusammenbrauen und in einem furchtbaren Gewitter entladen. Es wird getobt und gebrüllt und geschimpft.
Um genau diese Wut, diesen Groll geht es beim Grolltroll, der Ende Oktober im Coppenrath Verlag erscheint und auf der Frankfurter Buchmesse erstmals präsentiert wurde. Ganz ungewöhnlich für ein Buch begann beim Grolltroll alles mit dem Plüschtier und einem Storykonzept. Wir nutzten die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit dem Entwicklerteam: Dem Kreativduo Dr. Michael Gerharz und Stephanie Maria Gerharz alias aprilkind, die Storykonzept und das Kuscheltier entwickelten, der Autorin Barbara van den Speulhof und dem Illustrator Stephan Pricken.
Gerade erschien das Bilderbuch „Der Grolltroll“. Können Sie kurz erzählen, worum es darin geht?
Barbara van den Speulhof
Es geht um etwas, das kleine Kinder sehr gut kennen: Wutanfälle. Diese Wutanfälle werden ja häufig von einer ungeheuren Geschwindigkeit begleitet. Sie kommen quasi über einen, wie ein aufziehendes Gewitter. Genau darum geht es auch im Buch. Was passiert bei einem Wutanfall? Was macht man da? Was löst man damit aus? Deswegen zeigt sich der Grolltroll auch mit seinen Freunden. Durch sie kann er sehen was passiert, wenn er wütend ist und wie die Freunde darauf reagieren.
Wir wollen Kindern zeigen, was es heißt, wütend zu sein und auch, was danach passiert, wie Wutanfälle auf andere wirken. Natürlich zeigen wir im Buch auch eine Lösung, wie man mit Wut umgeht. Aber ich bin mir sicher, dass Kindern noch ganz viele andere Lösungen einfallen, wenn man sie fragt.
Wie kamen Sie auf die Idee zum Buch und auf die Figur des Grolltrolls?
Michael Gerharz
Wir haben selbst drei Kinder, die sind jetzt 8, 10 und 12 Jahre alt. Bei uns gibt es wöchentlich, wenn nicht sogar täglich Wutausbrüche. Unsere Jüngste war damals 6 ½ Jahre. Morgens beim Frühstück bekam sie das Nutella-Glas nicht auf, war noch müde, schlecht auf ihre Geschwister zu sprechen - eins kam zum anderen und sie zog genau so einen Flunsch, wie der Grolltroll auf dem Titelbild des Buchs.
Stephanie Maria Gerharz
Das Schöne war, sie sah dabei trotzdem liebenswert aus. Sie hat sich so viel Mühe gegeben, uns Abweisung zu zeigen, hat weggeguckt und die Arme ganz demonstrativ vor der Brust verschränkt – genauso wie es Stephan Pricken für das Cover gezeichnet hat - und man hatte sie in dem Moment einfach nur noch mehr lieb. Da kam uns der Gedanke, aus dieser Emotion, die wir selber natürlich auch kennen, eine Figur zu machen. Ich ging ins Atelier, nahm mir den Bügel eines Farbeimers - wir arbeiten gerade in der Prototypphase mit ganz unterschiedlichen Materialien - und habe damit herumprobiert. Der Bügel war ideal, so als Schmollmund zum hoch- und runterklappen. So haben wir angefangen einen Grolltroll zu gestalten. Der erste sah ganz anders aus, noch platt und in 2D. Aber er hatte schon diesen Schmollmund, der sich in einen lachenden Mund verwandeln kann. Unser Entwurf musste noch verbessert werden. Unsere Tochter sah in ihrem Groll trotzdem sehr liebenswert aus, der Entwurf aber noch eher wie ein Monster. Wir haben dann so lange daran gearbeitet, bis die liebenswerte Figur des Grolltrolls entstand. Durch raffiniertes Klappen kann sie beide Emotionen zeigen, Wut und Freude.
Uns kam der Gedanke, dass die Figur des Grolltrolls eine Geschichte braucht, um nachzuspielen, was hier passiert, welche Emotionen ausgelöst werden und was sie bei anderen bewirken. Hier entstand das Konzept für die Geschichte: Ein Troll, der seine Wut, seinen Groll ungefiltert herausdonnert, ein Grolltroll eben. Erst durch den Spiegel seiner Freunde erfährt er, dass das so nicht geht und was das für Gefühle bei ihnen auslöst.
Wir haben das Kuscheltier und die Idee zur Geschichte Coppenrath vorgestellt. Stephan Pricken hat anschließend die liebenswerten Illustration des Grolltrolls entwickelt und Barbara van den Speulhof eine unheimlich süße und sehr authentische Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger daraus gemacht. Stephan hat es geschafft, den Grolltroll aus tiefster Seele widerzuspiegeln - genauso liebenswert, wie er ist. Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich das gesehen habe.
Herr Pricken, Sie haben die Bilder zur Geschichte gezeichnet. Wie sah die Entwicklung aus?
Stephan Pricken
Die Figur wurde vorgegeben, ich musste sie nur übersetzen. Das war natürlich eine schöne und völlig andere Aufgabe, als man sie normalerweise hat. Normalerweise entwickelt man die Figur ja selbst. Schön war tatsächlich auch die Welt drum herum zu erschaffen. Wir haben uns zuerst überlegt, wie es aussehen soll und ich habe Entwürfe dazu gefertigt. Zunächst war uns alles zu unpersönlich und wir gingen weiter ins Detail. Wir überlegten uns bestimmte Wohnungen für die Freunde des Grolltrolls, die auch immer wieder vorkommen. Das war immer sehr spannend.
Können auch Eltern aus dem Buch etwas mitnehmen, eine Anregung finden, wie sie mit dem Thema Wut umgehen können?
Barbara van den Speulhof
Das denke ich schon. Die Geschichte inspiriert sicherlich zu Reaktionen oder auch zu Gesprächen: Wie ist das eigentlich, wenn du wütend wirst? Man sollte dem Kind nicht nur sagen, wie man sich nicht verhält oder dass es aufhören soll. Nein, man sollte schon ein bisschen reflektieren. Das kann man in diesem Alter schon sehr gut.
Sobald die Trotzphase beginnt, haben alle Eltern mit mehr oder weniger starken Wutanfällen ihrer Kinder zu kämpfen. Zudem enden Wutanfälle ja auch nicht mit dem Ende der Trotzphase. Welchen Tipp haben Sie für Eltern?
Barbara van den Speulhof
Zuerst einmal: Ruhig Blut. Beharrlich sein im Umgang mit solchen Wutausbrüchen - wenn man es kann. Man sollte nicht unbedingt selbst wütend werden, denn damit verstärkt man die Wut eigentlich und toleriert letztendlich auch das Verhalten. Wenn man genauso reagiert, heißt es ja für das Kind, dein Verhalten ist okay. Dann sind wir eben beide wütend oder sauer.
War es für Sie schwierig, sich in die Gefühlswelt der Kinder hineinzuversetzen?
Stephanie Maria Gerharz
Nein, denn es ist ja nicht nur eine Gefühlswelt von Kindern.
Michael Gerharz
Jeder kennt diese Situation, wenn man sich morgens den Kopf am Küchenschrank stößt und andere Missgeschicke passieren. Man ist dann einfach total mies drauf. Das ist auch ein Kontrast zu der Welt, die man heute präsentiert bekommt. Auf Facebook, Instagram - dort ist immer alles toll und alle sind immer happy, keiner verletzt sich. Dabei kennt jeder diese Momente, in denen man innerlich explodieren möchte, nur darf man das als Erwachsene/r eben nicht so, wie es der Grolltroll macht.
Die Frage an Sie weitergereicht, Frau van den Speulhof, war es für Sie schwierig, sich in die Gedankenwelt der Kinder hineinzuversetzen?
Barbara van den Speulhof
Nein, eigentlich nicht. Zum einen kenne ich natürlich aus höchstpersönlicher Erfahrung diese Zustände von Wut oder wenn ein Wutgewitter kommt. Ich schreibe Kinderbücher und tauche dafür in die Gefühlswelt der Kinder ein. Was mir bei diesem Buch sehr geholfen hat, waren Kinder, die mich nach einer Lesung inspirierten. Ich besuchte damals eine Frankfurter Schule, las zu einem ganz anderen Thema. Im Anschluss fragte mich eine Lehrerin, ob ich noch etwas Zeit hätte. Die Kinder schreiben schon seit der 1. Klasse und wollten mir ihre Arbeiten zeigen. Ich habe mir das sehr gerne angesehen und in der anschließenden Diskussionsrunde wollten die Schüler/-innen von mir ganz viel zum Thema Schreiben wissen. Gleichzeitig habe ich sie um einen Rat gefragt. Ich habe ihnen erzählt, dass ich über ein Buch zum Thema Wut nachdenke und ob sie mir Tipps geben könnten. Wie würden sie jüngeren Kindern sagen, wie man mit Wut umgeht? Das war ganz toll! Die Lehrerin war völlig begeistert von den Vorschlägen der Kinder. Sie haben aus ihrer eigenen Welt erzählt, wie sie sich fühlen, wenn sie wütend werden und was sie dagegen tun. Das war sehr unterschiedlich und die Diskussion war sehr lebendig. Ich hatte das richtige Thema gefunden, das auf Resonanz stößt und mit dem sich Kinder auskennen. Das war für mich eine Hilfe.
Ich finde es immer ganz schön, wenn man die fragt, um die es eigentlich geht. Wenn man während der Entstehung eines Buchs die Zeit hat, mit denen zu reden, die es betrifft. Was mögt ihr? Was meint ihr dazu? Was darf man auf keinen Fall vergessen?
Wut ist das zentrale Thema in der Geschichte. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dieses Thema in einem Kinderbuch aufzugreifen und zur Sprache zu bringen?
Barbara van den Speulhof
Weil es in der Welt der Kinder ständig Thema ist. Wutanfälle gehören zum Alltag. Einen solchen Gefühlszustand innerhalb einer Geschichte spielerisch zu behandeln, so dass Möglichkeiten der Lösung angeregt werden.
Ich glaube, dass das es auch ein ganz wichtiges Thema für den Kindergarten ist. Auch hier gibt es Wutanfälle. Ein Buch einmal bewusst zum Thema zu machen, ist für mich die Krönung des Kinderbuchs. Eine Geschichte wird nicht nur vorgelesen, sondern es entsteht aus ihr etwas Neues. Kinder und Erwachsene lassen die Handlung lebendig werden, sei es in Gesprächen, oder in Spielen oder - wie beim Ginpuin – in Form eines Theaterstücks. Dafür bietet sich auch der Grolltroll wunderbar an.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen fünf vorstellen?
Stephanie Maria Gerharz
Gemeinsam mit Coppenrath haben wir überlegt, welcher Illustrator und welcher Autor dieses wichtige Thema Wut gemeinsam mit uns umsetzen kann. Mit Stephan Pricken und Barbara van den Speulhof haben wir schließlich das perfekte Team gefunden. Da wir uns persönlich nicht kannten, lief alles über den Verlag und war von Coppenrath perfekt koordiniert.
Katrin Hoffmann (Lektorin bei Coppenrath)
Bei einer solchen Konstellation muss ein Zahnrad in das andere greifen. Vom ersten Besuch aprilkinds in unserem Haus, über die ersten Illustrationsproben und das Konzept für die Geschichte bis hin zum fertigen Buch fielen alle Puzzlesteinchen schnell an den richtigen Platz. Es war sehr schön zu erleben, wie reibungslos die Zusammenarbeit in diesem großen Team funktionierte
Michael Gerharz
Es gibt ja immer Situationen, in denen Teams unterschiedlich zusammenarbeiten. Es gibt Menschen, die haben Ideen, mögen aber keine Anregungen oder Vorschläge von anderen hören. Sie sind nur mit ihrem eigenen Werk einverstanden. Bei uns war das nicht so, sondern alle Beteiligten hatten das Ziel, das Projekt zu einem ganz tolles Buch werden zu lassen. Daher war jeder dankbar, wenn andere, bessere Ideen kamen. Es hat uns auch sehr viel Spaß bereitet, die Teamarbeit zu sehen, selbst wenn wir uns bisher noch nie persönlich begegnet sind. Hier, auf der Buchmesse in Frankfurt, sitzen wir tatsächlich das erste Mal alle gemeinsam an einem Tisch.
Stephanie Maria Gerharz
Es war schön zu sehen, wie die Bilder, die Texte entstanden; wie das ganze Projekt wuchs. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag war toll. Immer, wenn ich ein Bild oder einen Textentwurf gesehen habe, dachte ich mir, das muss ein toller Mensch sein, der dahinter steht.
Stephan Pricken
Umgekehrt war es auch spannend, euch etwas zu schicken und auf die Reaktion zu warten. „Was sagen sie wohl jetzt?“
Barbara van den Speulhof
Es ist relativ selten, dass Autor und Illustrator zusammen entwickeln, obwohl ich das toll finde. Zumal ich auch keine Scheu habe, einen Text anzupassen, wenn ein Bild das einfach verlangt.
Stephan Pricken
Ich finde es schön, dass es sich auch manchmal einfach ergänzt. Man hat den Text und dann merkt man plötzlich, dass man manche Dinge auch gut im Bild unterbringen kann. Anschließend überlegt man sich, ob es im Text überhaupt vorkommen muss. Die Arbeit muss ineinandergreifen, dann passt alles.
Neben dem Bilderbuch bringt der Grolltroll noch ein paar Sachen mehr mit.
Michael Gerharz
Parallel zum Buchstart gibt es natürlich die Plüschfigur aber auch eine ganze Reihe begleitende Produkte, die genau, wie die Plüschfigur die Emotionen Wut und Freude bespielen: Einen Trinkbecher, Tattoos, Stempel, Wut-Knautschbälle. Im Januar kommt eine Lieder-CD heraus, die das Thema auch ganz wundervoll aufgreift. Wir haben noch ganz viele weitere Ideen.
Liebes Grolltroll-Team, vielen Dank für Eure Zeit und das Interview hier auf der Frankfurter Buchmesse. Ich wünsche Euch ganz viel Erfolg mit dem Grolltroll, auf das er vielen Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Der Grolltroll
32 Seiten, ab 3 Jahren, ISBN: 978-3-649-62893-4, Verlag Coppenrath
Es könnte alles so schön sein! Wäre da nicht die blöde Hütte, die immer wieder zusammenkracht, oder der dumme Baum, von dem einfach kein Apfel herunterfallen will … Den Frust und die Wut, wenn Dinge nicht so laufen, wie man es sich wünscht, kennt jeder. Auch der Grolltroll. Was aber tun, wenn die ganz große Wut kommt und uns einfach überrollt? Unser Bilderbuch hilft, ihr spielerisch ein Ende zu setzen.