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Was würdest du tun, wenn du sehen könntest, welche Menschen demnächst sterben oder sich verletzen werden? Würdest du sie warnen oder würdest du einfach wegsehen? Glauben würde dir vermutlich niemand, denn Zeichen an anderen zu sehen, kann nur eine Wahnvorstellung sein. Vielleicht wäre es doch besser, du würdest zu einem Psychotherapeuten gehen. Vielleicht hast du nur einen Schatten gesehen, nichts weiter. Am Besten redest du mit niemandem darüber. Oder könnten es womöglich doch Visionen sein? Sieh doch mal genauer hin.

Schon als Kind hat Julian an anderen Menschen Dinge wahrgenommen, die gar nicht da waren. Es sind fürchterliche Bilder, die dem jungen Julian jede Menge Angst einjagten. Seine Therapeutin nennt es Marker, die er sieht. Bei einem Mitschüler sind es schwarze Balken, die quer über den Körper gehen, bei anderen sind es Nebelschwaden, die aus den Augen kommen. Durch diese Marker hatte es Julian sehr schwer in der Schule. Er fand keine Freunde, sondern nur Spott und Ablehnung. Dank seiner langjährigen Therapie und seiner Medikamente kann er nun endlich ein normales Leben führen. Die Marker sind verschwunden und er kann beginnen, andere Menschen wieder anzusehen, ohne Angst haben zu müssen, etwas fürchterliches zu sehen. Deshalb hat er sich auch vehement bei seinen Eltern durchgesetzt und startet nun sein eigenes Leben in einem Studentenwohnheim. Julians Befürchtung, er würde nur schwer Freunde finden, stellen sich erfreulicherweise als unbegründet heraus. Schnell merkt er fest, dass er mit seinem Zimmerkollegen bestens auskommt. Die anderen Studenten und Studentinnen sind sehr aufgeschlossen und angenehm unvoreingenommen. Ein Klassentreffen verändert jedoch alles. Denn Julian muss erkennen, dass die sogenannten Marker doch mehr gewesen sein könnten als pure Fantasy.
Hin und hergerissen von der Entscheidung, seine Tabletten abzusetzen, tut er dies letztlich doch und muss erkennen, dass alles anders ist,  als er immer gedacht hatte. Oder ist auch das, was er gerade erlebt, nur ein Trugbild? Kann er sich noch auf sich selbst verlassen? Wem kann er sich  anvertrauen, ohne gleich als verrückt abgestempelt zu werden? 

Ursula Poznanski ist eine österreichische Autorin, die es jedes Mal aufs Neue schafft, ihre Leserinnen und Leser mit ihren Geschichten in den Bann zu ziehen  egal ob Jugendliche oder Erwachsene. Für “Oracle” hat sie sich erneut ein besonderes psychologisches Szenario einfallen lassen. Der Protagonist ist von klein auf in psychologischer Behandlung, weil er sich einbildet, an anderen Menschen Zeichen zu sehen. Eindeutig ist die Diagnose nicht, doch mit Therapie verschwinden die Symptome. Aber dann kommt das Was-wäre-wenn ins Spiel. Was wäre, wenn die Zeichen an den anderen Menschen gar keine Trugbilder sind? Wenn sie etwas wären, das nur Julian allein sehen kann und das helfen könnte, ein Unglück abzuwenden.
Der Protagonist hat es alles andere als leicht. Er ist hin und hergerissen zwischen dem Drang zu helfen und anderen aus dem Weg zu gehen. Denn was er erlebt ist unerklärlich und er möchte nicht wieder, wie damals in der Schule, für Verrückt gehalten und mitleidig angesehen werden. Doch als alles aus dem Ruder läuft und Menschen, die er gerne hat, in Gefahr sind, muss er sich entscheiden.
Es ist ein wirklich tougher Jugendthriller mit Mysteryelementen. Nicht oft bangt man so mit einem Protagonisten mit, wie mit Julian. Denn die Story regt natürlich dazu an, sich selbst zu fragen, wie man in dieser Situation reagieren würde. Ein spannender Schachzug so etwas in ein Buch einzubauen, denn es macht das Lesen noch fesselnder und lebendiger. 

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