Alpakas, Agate und mein nuees Leben

von Erin Bow
Rezension von Janett Cernohuby | 17. April 2025

Alpakas, Agate und mein nuees Leben

Könnt ihr euch einen Ort vorstellen, an dem es kein Internet, kein Fernsehen, ja nicht einmal eine Mikrowelle gibt? Und könnt ihr euch vorstellen, dort zu leben? Freiwillig sogar? Was den einen wie ein Albtraum erscheint, ist für Simon die Hoffnung auf einen Neustart.

Ein Leben ohne Internet? - Perfekt!

Als Simon erfährt, dass seine Eltern in die National Quiet Zone umziehen wollen, ist er sofort begeistert. Denn das bedeutet kein Internet, kein Mobilfunk, keinen Fernseh- und Radioempfang. Endlich Ruhe, endlich neu anfangen können, nach dieser Sache damals. Fragt man ihn, wovor er Ruhe sucht, wird er von einem YouTube Video erzählen, das ihn auf der Flucht vor einem Alpaka zeigt, was ihm ziemlich peinlich ist. Und die Geschichte ist auch nicht gelogen. Aber es ist nur die halbe Wahrheit, denn das, was die Welt über Simon wirklich weiß, ist viel schockierender. Er überlebte einen Amoklauf an seiner Schule und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich wieder normal zu sein. Jenes Normal erhofft er also in der National Quiet Zone zu finden und tatsächlich trifft er bereits am ersten Schultag Agate, ein ungewöhnliches Mädchen, dessen Eltern einen Angoraziegenhof führen. Außerdem züchten sie Assistenzhunde und suchen immer Familien, die bei der Sozialisierung der Tiere helfen. Bald schon hat Simon nicht nur ein Haustier auf Zeit, sondern auch eine neue Freundin - und die wiederum hat einen Plan, bei dem eine gestohlene Mikrowelle ganz wichtig werden könnte…

Hartes Thema mit Feingefühl und Humor umgesetzt

Dieses Buch geht unter die Haut. Es lässt die Leserschaft laut auflachen und tief Luft holen. Im Mittelpunkt steht der 12-jährige Simon, von dem der Klappentext viel mehr verrät, als er es selbst über lange Stellen im Buch tut. Dort erfahren wir lediglich, dass an der Schule, die er einst besuchte, etwas Gravierendes vorgefallen sein muss. Etwas, von dem er Abstand sucht, nach dem er neu beginnen will. Normal sein will. Was das ist, erfahren wir erst ziemlich am Ende und, sofern man den Klappentext nicht gelesen hat, zieht es einem den Boden unter den Füßen weg. Simon hat ein extremes Trauma erlitten, mit dem er immer noch zu kämpfen hat. Darum hofft er, in dem kleinen Ort ohne Internetempfang neu anfangen zu können. Das geht zunächst auch gut, denn mit Agate findet er nicht nur eine neue Freundin, sondern auch ein besonderes Mädchen. Sie lebt mit einer Autismus-Spektrum-Störung, auf die sie auch stolz ist. Agate weiß genau, was sie will und sieht in Simon die perfekte Person, um ihr geheimes Projekt umzusetzen. Aber nicht nur das. Sie spürt auch, dass Simon etwas mit sich herumträgt, dass er unter Ängsten leidet, weiß aber lange Zeit nicht, was genau los ist. Als sie es erfährt, geht sie unglaublich bemerkenswert damit um. Weder bedauert sie Simon, noch bedrängt sie ihn. Sie akzeptiert ihn einfach und informiert sich, wie sie ihn bei Panikattacken begleiten kann. Auf dieses Wissen muss sie schon bald zurückgreifen.
Diese beiden Personen formen diesen Roman, wenngleich es noch andere Nebenfiguren gibt, die wichtige Rollen einnehmen. Aber es sind diese beiden Kinder, die auf unglaubliche Weise von Ereignissen erzählen, die erschreckend sind und unter die Haut gehen. Erin Bow ist es sehr gut gelungen, eine ausgewogene Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu finden. Sie verharmlost nichts, bringt an den richtigen Stellen den nötigen Ernst ein, versteht aber an anderer Stelle auch Raum für schöne Dinge und ja, auch für Humor zu schaffen. Denn genau das ist es, was Simon zusätzlich belastet: mitleidigen Blicke, Tuscheln hinter seinem Rücken. Dabei möchte er doch einfach nur wieder normal sein. Weitermachen, nicht mehr ständig an den Amoklauf erinnert werden. Natürlich hat ihn das Erlebte geprägt und wird immer Teil seines Lebens sein. Aber er will sein Leben nicht darauf beschränken, der Junge zu sein, der überlebt hat. Auch er darf nach vorne blicken, Hoffnung haben und wieder Lachen dürfen. Genau das vermittelt die Autorin in ihrer Geschichte, wenn sie die Freunde mit ihrem aberwitzigen Plan durch die Nation Quiet Zone laufen lässt.

„Alpakas, Agathe und mein neues Leben“ ist ein ganz außergewöhnlicher Roman. Starke Persönlichkeiten, ein schreckliches Trauma und eine gelungene Mischung aus Anteilnahme und Humor machen aus diesem ein besonderes Leseerlebnis, das unter die Haut geht und seine Leserschaft tief bewegt.

Details

  • Autor*in:
  • Originaltitel:
    Simon sort of says
  • Übersetzer*in:
    Ute Mihr
  • Genre:
  • Erschienen:
    04/2025
  • Umfang:
    400 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    11 Jahre
  • ISBN 13:
    9783423641241
  • Preis (D):
    16,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Gefühl:

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