Marcus Pfister im Gespräch
"Wenn ich eine Geschichte im Kopf habe, sehe ich parallel dazu immer schon die Bilder."
Beitrag von Janett Cernohuby | 21. November 2017
Vor 25 Jahren machte sich ein kleiner Fisch auf eine große Reise: Der Regenbogenfisch. Sein Weg führte ihn rund um die Welt und er erlebte viele Abenteuer, die auch heute immer noch Kinder aus allen Ländern mit Begeisterung verfolgen. Zu seinem 25. Geburtstag möchten wir dem kleinen Fisch nicht nur alles Gute wünschen, sondern nutzten auch die Gelegenheit, uns mit seinem Schöpfer Marcus Pfister zu einem Interview im Wiener Café Westend zu treffen.
Der Regenbogenfisch feiert seinen 25. Geburtstag. Was ist das für ein Gefühl?
Jubiläen haben immer zwei Seiten. Einerseits gibt es Grund zu feiern, andererseits ist auch alles etwas älter geworden. Der Fisch und auch ich. Nur sieht man es dem Fisch weniger an. *lacht*
Natürlich überwiegt die Freude - überhaupt die Bewunderung. Ich meine, 25 Jahre! Wenn ich heute ein neues Buch herausgebe, bin ich froh, wenn es zwei Jahre in der Buchhandlung erhältlich ist. Und 25 Jahre sind schon eine sehr, sehr lange Zeit.
Damals erlebte das Bilderbuch eine Hochblüte. Die Buchhandlungen haben gemerkt, dass mit dem Bilderbuch Geld verdient wurde. Also haben sie die Bilderbuchabteilungen ausgebaut. Bilderbuch - das sagt schon der Name, das muss man sehen. Wenn man es einfach nur ins Regal stellt, ist es schwierig, das Buch wahrzunehmen. Damals gab man dem Bilderbuch Raum. Heute ist es schwierig, dasselbe zu machen. Wenn nicht gerade die ganze Buchhandlung verschwunden ist, sind die Bilderbuchabteilungen viel kleiner geworden. So kann man Bilderbücher auch nicht mehr leicht entdecken.
Wie hat damals alles angefangen? Wo hat der Regenbogenfisch seine Reise begonnen?
Begonnen hat er sie in Bern, in meinem Atelier. Jedes meiner 60 Bücher hat seine eigene Geschichte. Mein allererstes Buch war "Die müde Eule". Die Mitgründerin des NordSüd Verlags hat mir gesagt, ihr hat das Buch so gut gefallen, ich soll doch etwas Ähnliches schaffen. Fünf, sechs Jahre hatte ich keine Idee. Bis die müde Eule eines Tages quer vor mir lag und wie ein Fisch aussah. Der Fisch war zwar nicht die typische Bilderbuchfigur, wie knuddelige Eisbären, Bären oder Pinguine, aber ich habe es einfach probiert. Die Eule war in den gleichen Farben gehalten, aus den Federn wurden Schuppen und so entstand die Geschichte.
Es sollte ein besonders schöner Fisch werden, der etwas von seiner Schönheit mit anderen teilen könnte. Das war schwierig, denn irgendeine farbige Schuppe zu verschenken, das klappt in dem Sinne nicht. Also habe ich nach etwas gesucht, um einerseits den Fisch von anderen Fischen abzuheben, andererseits um zu zeigen, dass er wirklich etwas Wertvolles weggeben muss. So entstand die Idee mit der silbernen Glitzerfolie.
Für Kinder ist es einfach Glitzer, wir Erwachsene sehen in der Silberfolie kleine Geldstücke, die man teilt.
Schlussendlich haben wir den Fokus auf das Teilen gelegt. Für mich gab es aber noch einen anderen thematischen Schwerpunkt: Man muss lernen, dass Äußerlichkeiten nicht so wichtig sind. Gerade in der heutigen Zeit, wenn Kinder sich über das neueste iPhone oder die neuesten Sneakers definieren. Daher war es mir wichtig zu zeigen, dass das Äußere nicht das Wichtigste ist. Freundschaft zählt viel mehr.
Ich betone das immer wieder, denn ich war erstaunt, wie viele Fehlinterpretationen so ein kurzer Text liefern kann. In Amerika wurde die Geschichte als Propaganda für den Kommunismus und für den Sozialismus verstanden. Bei uns hieß es dann plötzlich, der Regenbogenfisch kauft sich Freunde oder die anderen Fische erpressen ihn, sodass er seine Schönheit abgeben muss. Das habe ich nie ganz verstanden, denn am Anfang sind es schließlich die Fische, die mit dem Regenbogenfisch spielen wollen. Er ist derjenige, der sagt, nein ich bin etwas Besseres. Das ist völlig untergegangen.
Es ist unglaublich, wie viele Interpretationsmöglichkeiten eine solche Geschichte offen lässt.
Die Rückmeldungen von Familien waren aber positiv. Es freut mich, wenn mir junge Erwachsene einen Brief schreiben und erzählen, dass der Regenbogenfisch sie in ihrer Kindheit begleitet hat. Da merkt man, das Buch ist wirklich angekommen und hat Menschen berührt.
"Die müde Eule" war Ihr erstes Buch im NordSüd Verlag. Damals wurden Sie gebeten, etwas Ähnliches zu schreiben. Wie ähnlich sind sich Regenbogenfisch und Eule tatsächlich?
Überhaupt nicht.
Für mich ist das Visuelle sehr wichtig. Wenn ich eine Geschichte im Kopf habe, sehe ich parallel dazu immer schon die Bilder. Das ist natürlich auch ein großer Vorteil, ich habe nicht irgendeine Geschichte, zu der ich Bilder schaffen muss. Bei mir läuft das immer parallel. Entweder entsteht zuerst die Figur und dann die Geschichte, oder umgekehrt. Doch wenn ich eine Geschichte im Kopf habe, muss ich auch die Bilder sehen. Wenn ich diese nicht spüre, wird es schwierig.
Was glauben Sie, ist das Besondere am Regenbogenfisch, das Kinder und Eltern über all die Jahre hinweg immer wieder begeistert?
Grundsätzlich glaube ich, dass jedes Buch eine gewisse Bekanntheit erlangen muss, dann wird es fast zum Selbstläufer. Die Großmutter schenkt es ihren Enkeln, es wird in den Schulen oder im Religionsunterricht eingesetzt und vielleicht sogar aufgeführt.
Am Anfang hat die Glitzerfolie auf jeden Fall eine Rolle gespielt. Ich habe diese Technik aus der Werbung gekannt, aber im Bilderbuch war sie unbekannt. Den ersten Probedruck habe ich selber machen lassen. Als das Buch erschienen ist, haben die Buchhandlungen zehn, zwanzig Bücher ausgelegt. Der optische Eindruck war sehr stark, aber auch die Geschichte hat berührt. Viele Erwachsene und Großeltern haben das Buch mehrmals gekauft und verschenkt.
Es war durch die Glitzerfolie ein richtiges Geschenkbuch, das es zu etwas ganz besonderem machte.
Also war der Regenbogenfisch auch der Vorreiter für all die heutigen Kinderbücher, in denen man diesen Glitzereffekt antrifft?
Er war bestimmt ein Vorreiter. Heute gibt es kaum ein Weihnachtsbuch mehr, das nicht glitzert. Beim Regenbogenfisch ist dieser Effekt aber aus der Geschichte entstanden. Wir wussten am Anfang noch gar nicht, ob man das überhaupt produzieren kann. Ob es zu teuer ist und wer uns das drucken wird. Das ist schließlich eine ganz andere Drucktechnik. Zuerst wird das Buch normal im Offset gedruckt und dann muss es in eine andere Druckerei. Dort drucken Metallklischees, wie sie vor 200 Jahren im Buchdruck verwendet wurden, die Glitzerfolie. Wäre das nicht möglich gewesen, wir hätten das Buch nie herausgebraucht. Wie gesagt, warum soll der Fisch eine farbige Schuppe verschenken? Das hätte nicht funktioniert.
Also hat der Regenbogenfisch sehr viel bewegt?
Ich glaube, er hat überall in ganz verschiedenen Bereichen ganz viel bewegt.
Im ersten Buch ging es um das Thema Teilen. Auch die Folgebände haben immer wieder Themen aufgegriffen, in denen es um Werte und den Kinderalltag geht. Warum haben Sie solche gewählt?
Ich schreibe sehr viele unterschiedliche Bücher. Der Regenbogenfisch war ein Charakter, der vom Publikum akzeptiert wurde, um moralische Themen zu transportieren. Das ist ja immer etwas heikel. Einigen ist es zu viel, für andere ist es in Ordnung.
Mit dem Regenbogenfisch hatten wir eine Figur, die gleich akzeptiert wurde und die diese Inhalte transportieren konnte. Darum haben wir auch weitergemacht.
Ich habe andere Bücher geschrieben, in denen es um die Natur, um Spaß und Unterhaltung geht. Nicht jedes Buch muss moralische Werte mitgeben. Aber beim Regenbogenfisch wäre es komisch gewesen, wenn wir im zweiten Band etwas ganz anderes behandelt und auf reine Unterhaltung gesetzt hätten.
Der Regenbogenfisch ist sehr lebendig und abenteuerlustig. Ist er Ihnen auch schon einmal auf der Nase herumgetanzt?
Ursprünglich war es für mich ein Einzelbuch. Ich habe nie in Serien gedacht. Wir haben auch nie mit einem solchen Erfolg gerechnet. Die Nachfrage nach der Serie kommt mit dem Erfolg. Ich habe mir immer die Freiheit genommen, nur alle drei, heute sind es fünf Jahre, einen neuen Regenbogenfisch zu schreiben. Ich brauchte dazwischen auch einmal etwas anderes. Andere Techniken und andere Inhalte. Ich bin dem Verlag sehr, sehr dankbar, dass er mir diese Freiheit gegeben hat.
Es sind sehr unterschiedliche Bücher entstanden. "Mats", mit geteilten Seiten, auch mal mit einem Pop-up, Acryl auf Leinwand und vieles mehr. Ich komme aus der Kunst und brauche es, auch mal eine andere Seite ein bisschen ausleben zu können. Dann komme ich auch gerne zum Regenbogenfisch zurück und überlege, was da noch möglich wäre
Es ist natürlich für einen Autor immer am schwersten, eines seiner Werke zu favorisieren. Aber welches der Regenbogenfisch-Bücher, welches darin behandelte Thema lag Ihnen am meisten am Herzen?
Der dritte Band „Der Regenbogenfisch stiftet Frieden“ ist mir immer sehr am Herzen gelegen. Vermutlich weil die Geschichte aus einer Kindheitserinnerung entstanden ist. Wir waren fünf Kinder auf kleinem Raum. Dadurch hat es immer Spannungen gegeben. Viele Szenen im Buch zeigen, aus welch dummen Situationen ein Streit entstehen kann. In dieser Geschichte basiert alles auf einem Missverständnis. Die Fische fühlen sich von jemandem bedroht, der eigentlich keine Bedrohung darstellt. Band eins und drei sind meine Lieblingsbände aus der Regenbogenfisch-Serie.
Andererseits ist mein Lieblingsbuch immer das, an dem ich gerade arbeite. Der Regenbogenfisch ist natürlich das wichtigste Buch für mich. Er hat so unglaubliche viele Türen geöffnet - in Märkte, für andere Bücher und natürlich auch für meine Arbeit.
Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus? Sie illustrieren und schreiben Ihre Geschichten. Was kommt zuerst?
Der große Vorteil ist, dass ich beides mache und mich daher von beiden Seiten inspirieren lassen kann. Wie ich gezeigt habe, stand beim Regenbogenfisch zuerst die Figur. Wenn jetzt eine neue Geschichte vom Regenbogenfisch kommt, steht natürlich zuerst die Geschichte. Aber das ist völlig unterschiedlich. Manchmal steht zuerst die Figur, manchmal steht zuerst die Geschichte. Manchmal beides zusammen.
Welche Techniken nutzen Sie am liebsten?
Ich habe vor ca. acht Jahren eine neue Technik entwickelt und sie das erste Mal im Buch "Was macht die Farben bunt" eingesetzt. Das Buch greift ganz einfache Kinderfragen auf, mit zwei Zeilen Text pro Seite. Das verlangt nach einfachen Bildern. Ein Bild ist quer und zeigt einen Wal über die ganze Seite. Ich habe zuerst mit Aquarell gearbeitet. Doch das war eine riesige, langweilige, blaue Fläche. Mir war klar, da muss etwas anderes passieren und ich habe zu experimentieren begonnen. Am Ende habe ich mit einer Drucktechnik gearbeitet, die dem Kartoffeldruck ähnlich ist. Dabei entstehen je nach Farbe, Druckintensität, Abziehrichtung völlig andere Muster und lustige sowie natürliche Strukturen. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mit dieser Technik noch sechs oder sieben Bücher gemacht habe. Bei mir entsteht immer alles mit Pinsel und ohne Computer.
Wie wird es mit dem Regenbogenfisch weitergehen? Werden wir ein neues Abenteuer von ihm zu lesen bekommen?
Nein, da gibt es noch keine Ideen. "Schlaf gut, kleiner Regenbogenfisch" ist im Frühjahr herausgekommen, vor 2020/2022 wird es keine neue Geschichte geben.
Gibt es andere Projekte, an denen Sie gerade arbeiten?
Jetzt im Herbst ist mein 60. Kinderbuch bei minedition veröffentlicht worden. Ansonsten ist dieses Jahr sehr geprägt von den Reisen. Ich war in Nepal, China, Japan, Chicago, häufig in Deutschland und Österreich. Ich brauch eine gewisse Ruhe, um an einem neuen Projekt zu arbeiten.
Dieses Jahr habe ich auch für mich persönlich einmal Ordnung geschafft und alle Illustrationen digitalisiert. Ich habe wirklich 30 Jahre nonstop gearbeitet. Jetzt muss ich einmal durchatmen.
Lieber Herr Pfister, ich bedanke mich für die Zeit, die Sie sich für uns und das Interview genommen haben. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und vor allem viel Spaß bei Ihrer Lesereise