Mein Bruder, die Neuen und ich

von Martha Heesen
Rezension von Janett Cernohuby | 02. Februar 2017

Mein Bruder, die Neuen und ich

Familienleben ist immer aufregend, vor allem mit Kindern. Sie fegen wie ein Wirbelwind durchs Haus, streiten und vertragen sich und bringen so manche kleinere oder größere Sorge aus Kindergarten oder Schule mit nach Hause. Manchem reichen ein oder zwei Kinder, andere hätten gerne mehr. So wie die Eltern von Toon und Jan: "Mein Bruder, die Neuen und ich".

Toon und Jan sind zwei ganz normale Kinder. Sie sind sogar zwei glückliche, normale Kinder, die alles haben. Zwei liebevolle, nicht geschiedene Eltern, ein schönes Haus, ein Auto, finanzielle Mittel und Großeltern. Jan, der größere von beiden, ist zudem Leistungsschwimmer und zeigt seinem kleinen Bruder Toon gerne mal, wer der Stärke von beiden ist. Aber trotzdem haben Toon und Jan ein ziemlich turbulentes und ungewöhnliches Familienleben. Denn ihre Eltern hätten offenbar gerne noch mehr Kinder und nehmen daher von Zeit zu Zeit Pflegekinder bei sich auf. Nein, sie nehmen jederzeit für kurze Zeit Pflegekinder auf, sollte man wohl sagen. Zuerst Rufus mit seiner Gespensterfreundin. Dann Gerri mit ihrer altklugen Weisheit, Jirre mit seiner ruhigen Art und Liebe zu Lego, gefolgt von der schweigsamen Abigaël und Milo, dessen Mund partout nicht stillstehen kann. Diese Pflegekinder halten die Familie ganz schön auf Trab und fordern ihr auch viel ab. Doch nicht nur den Eltern, sondern auch den Brüdern - und dazu gehört viel Geduld und Verständnis.

Mit Humor, aber vor allem Tiefgang erzählt Martha Heesen eine Familiengeschichte, die unter die Haut geht. Dabei geht es jedoch weniger um das soziale Engagement, Kinder aus einem schweren familiären Umfeld, vorübergehend bei sich aufzunehmen. Vielmehr geht es um die beiden Brüder und wie sie mit dieser Situation umgehen. Glücklich sind beide nicht und sie würden es zu gerne sehen, wenn ihre Eltern einmal für längere Zeit kein Pflegekind aufnehmen und die Zeit stattdessen ihnen widmen würden. Doch jeder der beiden geht auf seine Art damit um. Während für Jan das Leistungsschwimmen extrem wichtig ist, da er sich nur hier der volle Aufmerksamkeit seiner Eltern gewiss sein kann, versucht Toon immer, sich mit den Neuen zu arrangieren und ihnen zu helfen, sich in die Situation einzuleben. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Sein Bruder genießt es, ihm regelmäßig zu zeigen, wer der Stärkere ist. Seine Mutter nimmt es als selbstverständlich hin, dass Toon zu jedem der Pflegekinder eine Beziehung aufbaut. Tatsächlich entwickelt er wirklich mit dem einen oder anderen eine Freundschaft und der Abschied fällt ihm dann natürlich schwer.
Die Geschichte wird trotz aller Ernsthaftigkeit und allem Tiefgang mit einer Portion Humor erzählt. Dabei ist vor allem die kindlich-naive Art, wie Toon die Familiensituation schildert, faszinierend. Man kann sich sehr gut in ihn hineinversetzen, versteht seine Wünsche und Sehnsüchte, vor allem danach, von seinen Eltern auch wieder einmal etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Die Geschichte hat keinen speziellen Höhepunkt, an dem sich alles gipfelt oder auflöst. Vielmehr ist sie eine Momentaufnahme einer etwas anderen Familie. Der Leser begleitet sie für die Dauer von sechs Pflegekindern, die allesamt extrem unterschiedlich sind und auch immer andere Anforderungen an Toon, Jan und deren Eltern stellen. Genau darin liegt der Reiz des Buches. Was erwartet den Leser? Was erwartet die Familie? Wie werden sie damit umgehen, wie wird es Toon prägen und verändern? Sie alle schließt der Leser ins Herz und ist am Ende ein wenig traurig, als plötzlich die letzte Seite gekommen ist und man nicht nur von einem weiteren Pflegekind Abschied nehmen muss, sondern von der gesamten Familie.

"Mein Bruder, die Neuen und ich" ist ein tolles Kinderbuch mit einer ungewöhnlichen Geschichte. In ihm begegnen wir einer Familie, die für bestimmte Zeit Kinder bei sich aufnimmt, die keine glückliche Kindheit haben. Doch es werden weniger die Einzelschicksale betrachtet und bis ins kleinste analysiert. Vielmehr wird erzählt, wie die Brüder diese Situationen erleben und meistern.
Es ist ein Buch das unterhält, das ergreift, das aber auch zum Schmunzeln einlädt. Einfach lesenswert.

Details

Bewertung

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