Petra Steckelmann über Demenz und ihr sehr persönliches Kinderbuch

"Genießen Sie die schönen Momente!"

Beitrag von Janett Cernohuby | 12. April 2023

Wie gehen Kinder mit dem Thema Alzheimer um? Wie begegnet man ihnen, wenn ein Familienmitglied von dieser Erkrankung betroffen ist? Kinderbuchautorin Petra Steckelmann, die selbst jahrelang in einem Seniorenheim gearbeitet hat, stellt uns in ihrem einfühlsamen aber auch fröhlichen Kinderbuch einen Jungen vor, dessen Opa an Demenz erkrankt ist. In einem Interview erzählte sie uns noch mehr über das Thema, über den Umgang mit Kindern und auch mit erkrankten Familienangehörigen.


In Ihrem Kinderbuch „Trockenschwimmen mit Opa“ greifen Sie das Thema Demenz auf. Was hat Sie zum Schreiben eines solchen Buches bewogen?

(c) Petra SteckelmannIch war wütend! Und ich war fassungslos, wie unüberlegt Schema F abgespult wird, ganz egal, ob dadurch eine Überforderung eines Erkrankten entsteht, oder sogar Frustration. Ich fand mich in einer für mich sehr verstörenden Situation mit einem an Alzheimer-Demenz erkrankten Bewohner und einer Fachkraft wieder, die unvermittelt in meine Arbeit und den Tagesablauf der Bewohner eingriff.
Kinder handeln intuitiv richtig – wenn man sie lässt. Das würde ich mir von Erwachsenen auch wünschen. Mehr Intuition – weniger verkopftes Handeln. Ich möchte mit diesem Buch Kinder darin stärken, ihren Gefühlen zu vertrauen – gerade wenn es um die Begegnung mit ihrer dementen Oma oder ihrem dementen Opa geht. Genau wie auch Elliot, der Protagonist meines Buches, es tut. Er gewinnt damit wertvolle Momente – für sich und seinen Opa.
Mir gefiel damals die Umsetzung der an und für sich guten Konzepte des Hauses nicht. Mir fehlten die Wahrnehmung und das Erkennen der Bedürfnisse des Einzelnen. Die konzeptionelle Durchführung war wichtiger als die Individualität. In meinem Schlüsselmoment agierte eine Vorgesetzte gegen mich und einen meiner zu betreuenden Bewohner und ich war wie vor den Kopf geschlagen. Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit waren die Triebfedern für das Buch – wobei das Buch zwar aus dieser Motivation heraus entstanden ist – sich das aber im Buch keineswegs widerspiegelt. Ich wollte eine Stimme für diejenigen sein, die sich nicht mehr selber äußern können, zumindest nicht mehr mit den Worten, die für alle klar und verständlich sind. Die Grundintensionen des Buches sind: „Nimm mich wahr! Sieh wer ich bin und handle für mich, wo ich es nicht mehr kann – gehe aber nicht über mich hinweg!“. So interpretiere ich auch meine Arbeit. Für diejenigen da zu sein, die sich eben auch nicht mehr selber schützen können. Ich sehe mich nicht nur als Pflegerin, sondern vor allem als Schutzperson gegen Übergriffe von außen. Seien diese aus Unachtsamkeit oder aus Nachlässigkeit heraus. Ich bin da und stelle mich notfalls auch gegen meine Vorgesetzten, um eine erkrankte, hilflose Person zu schützen, die mir anvertraut wurde.

Neben der sehr berührenden Handlung sind es auch ganz besondere Figuren, die im Buch vorkommen. So hinterlässt Miss Patty, obwohl sie nur wenige Auftritte hat, einen tiefen und nicht gerade positiven Eindruck. Dabei will sie doch eigentlich nur das Beste für den Großvater. Warum ist diese Figur notwendig?

Anhand dieser Figur zeige ich, wie Übergriffe und Frustration in der Arbeit mit an Demenz Erkrankten im Alltag aussehen kann. Etwas das gut gemeint ist, ist nicht immer gut für den zu Betreuenden. Es gibt viele Ansätze in der Arbeit mit Dementen, die sich für Gesunde – vor allem für Angehörige – oft ganz toll anhören. In der Zusammenarbeit mit den Erkrankten ist aber oft zu spüren, dass die Ansätze für eine „sinnvolle“ Beschäftigung nicht das sind, was der Erkrankte gerade braucht. Um dies zu verdeutlichen, durfte Miss Patty „mitspielen“.

In der Geschichte gibt es verschiedene Szenen, in denen sich Elliots Opa in Momente aus seiner Jugend zurückversetzt fühlt. Elliot lässt sich darauf ein. Ist das denn klug oder hätte er ihn nicht lieber in das Hier und Heute zurückholen sollen?

Elliots Hier und Heute ist aber nicht das Hier und Heute des Großvaters. Ich denke nicht, dass man Demente immer aus ihren Situationen zurück ins Hier und Heute holen muss. So wird es zwar gelehrt, aber was ist falsch daran, ihnen in ihrer Welt zu begegnen? In der Welt, in der sie sich gerade wohl fühlen. Wenn sie allerdings verzweifelt, traurig oder ängstlich sind, ja, dann bin auch ich dafür, sie in emotionale Sicherheit zu bringen. Aus Prinzip, weil das Lehrbuch es so vorgibt, jemanden immer wieder zu erklären, dass seine Wahrnehmung jetzt gerade unangebracht ist, halte ich für falsch. Warum nicht gemeinsam über eine fiktive Blumenwiese tanzen und dabei „unpassende“ Lieder singen? Könnte doch lustig sei.

Warum Trockenschwimmen auf Matratzen?

Die Matratze ist der Ursprung dieses Buches. Ich möchte eine immer wiederkehrende Situation beschreiben. Nahezu jeden Morgen, wenn ich den „echten“ Timothy weckte, fand ich ihn auf dem Bauch, vor seinem Bett liegend, sicher aufgefangen von einer blauen Matratze, die davor lag. Ich fragte: „Timmy, was machst Du da schon wieder?“ – seine Antwort war: „Trockenschwimmen! Sieht man doch!“ Dieser eine Satz inspirierte mich zu einem ganzen Buch. Danke, Timmyboy-Blue! Und es gibt keinen Dank an die Person, die mich und „Timothy“ damals so vor den Kopf gestoßen hat, dass ich tatsächlich auch anfing dieses Buch zu schreiben.

Trockenschwimmen mit OpaVater und Sohn werden mit einer Fülle an Anweisungen zurückgelassen. Auffällig sind dabei der Tagesablauf und die vielen Verhaltensregeln im Umgang mit Opa. Ist diese Szene nicht etwas überspitzt dargestellt? Brauchen Erkrankte so viele Regeln?

Nein, die Regeln brauchen die gesunden Betreuenden. Sie sind es, die die Sicherheit brauchen, dass der Tag gut läuft, wenn alles durchgetaktet und geplant ist. Was die Dementen brauchen, wissen wir nicht. Zumal es auch nicht den einen Dementen gibt. Es gibt so viele verschiedene Ausprägungen, die sich noch dazu ändern. Kein Erkrankter ist wie der andere – kein Tag ist wie der andere. Ich glaube im Zusammensein mit Dementen hilft nur eines: fühlen. Hinfühlen wie sich der Gegenüber fühlt, versuchen herauszubekommen, wie man seinen Tag für ihn angenehm gestalten kann – und dass jede Stunde aufs Neue.

Wen wollen Sie mit diesem Buch erreichen?

Alle, die sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzen wollen und von schlauen Ratgebern die Nase voll haben. Mir sagte mal eine betreuende Angehörige, nachdem sie mein Buch gelesen hat, dass es ein Satz aus meinem Buch war, der ihr den Alltag mit ihrem dementen Mann wirklich erleichtert hat: „Fünfe Sechse sein lassen!“ (das sagt Elliots Großvater in dem Buch).
Wenn nur ein Leser oder eine Leserin nach der Lektüre des Buches den Großvater oder die Großmutter so wahrnimmt, wie er oder sie ist. Und nicht so, wie er oder sie zu sein hat, um einem Bild oder einer Erwartung zu entsprechen. Dann habe ich erreicht, was ich wollte. Man kann also sagen, dass ich das Buch auch für das Wohlbefinden Erkrankender und Erkrankter geschrieben habe.
Ich würde mich freuen, wenn „Trockenschwimmen mit Opa“ eine Diskussionsgrundlage in betroffenen Familien werden würde. Ich möchte Kindern, die alt genug sind tiefere Fragen zum Thema Alzheimer und Demenz zu stellen, eine Anregung und Unterstützung geben. Die Krankheit ist für Angehörige schrecklich! Keine Frage! Aber es gibt auch schöne Momente – die sollten gesehen und genossen werden. Selbst wenn es nur wenige sein werden – es gibt sie, die Momente, an denen die Verzweiflung über das Schicksal zur Seite geschoben werden und der Moment genossen werden darf. Auch das möchte ich mit dem Buch vermitteln.

Sie sind selbst Pflegerin. Verarbeiten Sie eigene Erfahrungen in dem Buch?

Aber ja doch! Ich machte meine Erfahrungen mit grenzüberschreitenden und unflexiblen Konzepttreuen. Um meine Wut auf unachtsame und sture Konzeptreiter zu verarbeiten schrieb ich dieses Buch. Ich habe also all meinen Ärger in Kreativität verwandelt und herausgekommen ist dieses Buch – ganz ohne Wut und mit viel Liebe für die Erkrankten.

Man liest und hört oft, dass Demenzerkrankungen in unserer Gesellschaft zunehmen. Ist das wirklich so oder nehmen nur das Bewusstsein dafür und die Zahl der Diagnosen dafür zu?

Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Dazu müsste ich mich über neueste Entwicklungen und Erkenntnisse der Forschung informieren. Ich müsste mich tief in die Materie einlesen.
Wenn es aber tatsächlich so ist, dass das Bewusstsein und das Wissen über Demenz in all seinen Formen zunimmt, dann ist der Weg offen für viele kluge Köpfe sich darüber Gedanken zu machen, wie man mit der Krankheit und den Erkrankten in Zukunft umgehen möchte.
„Fünfe Sechse sein lassen“ ist nur meine Idee. Vielleicht fällt jemandem ja noch etwas anderes ein, um an Demenz Erkrankte weiterhin wahrzunehmen und nicht im Schatten „abzustellen“.

Welchen Rat haben Sie für Familien mit Kindern im Umgang mit Demenz? Was möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben?

Was ich den Angehörigen mitgeben möchte:
Genießen Sie die schönen Momente! Wie bereits erwähnt, ist es meiner Meinung nach das, was man noch für sich mitnehmen kann und was man dem Gegenüber noch geben kann. Mehr wird einem nicht mehr geschenkt – nur vereinzelte Momentaufnahmen – mit Glück und vielleicht Zufriedenheit für beide Seiten. Manchmal nur für den Bruchteil einer Sekunde. Aus diesen Momenten Kraft für die schwere Zeit zu schöpfen, ist eine hohe Kunst. Ja, ich wünsche allen von der Krankheit Betroffenen – sowohl den Erkrankten als auch den Angehörigen – viel Kraft!
Und ganz wichtig: Genau wie Elliot in dem Buch, der „nebenbei“ noch Theater spielt und sich von der Artus-Sage faszinieren lässt, sollte man sein eigenes Leben nicht komplett hinter die Pflege eines Angehörigen anstellen. Sich selber, und seine eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren nützt niemanden etwas. Hilfsangebote zu nutzen ist keine Schwäche!

Liebe Frau Steckelmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.

Liebe Frau Cernohuby, ich habe zu danken, dafür, dass Sie diesem Thema auf Ihrer Seite so viel Raum geben – dafür, dass Sie nachfragen und dafür, dass ich die Hintergründe zu meinem persönlichsten Buch offenlegen durfte.

Trockenschwimmen mit Opa

Trockenschwimmen mit Opa

Petra Steckelmann, Mele Brink (Illustration
gebunden, 168  Seiten
Edition Pastorplatz, Oktober 2021
ISBN: 978-3-943833-50-8

Zur Rezension

   

 

Fotos von Petra Steckelmann
Petra Steckelmann über Demenz und ihr sehr persönliches Kinderbuch