Ute Krause im Gespräch
"Schon damals wollte ich etwas tun, das mir wirklich etwas bedeutet. Etwas, womit ich Menschen berühren konnte."
Beitrag von Janett Cernohuby | 22. November 2022
Vor fünf Jahren griffen wir zum Telefonhörer und wählten eine Berliner Nummer. Am anderen Ende der Leitung saß Ute Krause, die uns damals von ihrem Jugendroman „Im Labyrinth der Lügen“ erzählte. Im Herbst 2022 lernten wir uns dann auch auf der Frankfurter Buchmesse persönlich kennen. Natürlich haben wir bei dieser Gelegenheit gleich noch ein paar Fragen gestellt.
Liebe Frau Krause, ich freue mich, Sie nun auch persönlich kennenlernen zu dürfen. 2017 haben wir ein Interview am Telefon geführt. Ein Jahr zuvor erschien ihr Jugendroman „Im Labyrinth der Lügen“. Was hat sich seither getan?
Einiges. Das „Labyrinth der Lügen“ ist seinen Weg gegangen. Wenn ich es vor Klassen vorlas, gab es danach häufig einen regen Austausch mit Kindern und Lehrer*innen. Das „Labyrinth“ ist das, was man als Living History bezeichnet. Nur als Beispiel, eine erzählte von ihrem Opa, der dabei war, als ein Tunnel zwischen Ost- und Westberlin gegraben wurde, jemand anders sprach von seinem Opa, der bei der Stasi war. So entwickelten sich Gespräche darüber was damals passiert ist, wovon die Großeltern erzählen und wovon nicht. Das ist spannend, zumal das Buch auf der Geschichte einer Freundin basiert, deren Eltern einen Fluchtversuch unternommen haben, der gescheitert ist. Zunächst mussten sie in der DDR bleiben, bis sie von der BRD freigekauft wurden. Einige Jahre später wurde auch meine Freundin freigekauft und sie konnte ebenfalls aus der DDR ausreisen. Das war aber nicht immer möglich. Es gibt andere Geschichten von Kindern, die in der DDR bleiben mussten und die ihre Eltern erst nach dem Mauerfall wiedergesehen haben.
An dieser Stelle kommt von Schüler*innen oft die Frage, ob meine Freundin nicht wütend auf ihre Eltern war - und schon kommt man wieder ins Gespräch. Das Buch bietet also ganz viele Diskussionsanlässe.
Und da Sie ja fragten was sich getan hat - „Das Labyrinth der Lügen“ wird gerade fürs ZDF als neuteilige Serie verfilmt. Außerdem laufen die „Muskeltiere“ auf KiKa und ZDF. „Minus Drei“ wird auch gerade produziert, zunächst als 39-teilige Serie, mit der Option, dass diese noch verlängert werden kann.
Daneben kommen auch Theater auf mich zu und möchten aus meinen „Muskeltieren“ Stücke machen. Das Hamburger „Ohnesorg Theater“ nimmt die „Muskeltiere“ im Herbst 2023 in seinen Spielplan auf.
Leute nehmen meine Ideen und machen etwas Eigenes daraus. Das ist wahnsinnig schön.
Haben Sie auf die Fernsehserie Einfluss? Werden Sie beratend hinzugezogen?
Bei den „Muskeltieren" war das der Fall - in Gesprächen mit der Produzentin habe ich meine Wünsche und Vorstellungen eingebracht. Ich war in den Studios in Stuttgart, wo die 3D-Figuren gestaltet wurden. Dort habe ich meine Vorstellungen geäußert, die allerdings aus technischen oder finanziellen Gründen nicht immer berücksichtigt werden konnten. Z. B. hätte es ein Vermögen gekostet, hätte man den Tieren ein Fell gegeben. Anderes Beispiel - auf meinen Zeichnungen hat die Rattendame Gruyere eine lange Nase, was aber in 3-D nicht funktionierte. Schließlich musste sie auch von vorne gut aussehen, die musste also gekürzt werden. Am Computer bekommen Figuren ein Skelett, dass eigenen Regeln unterworfen ist und funktionieren muss. Daher waren auch die langen Füße der Muskeltiere eine Herausforderung, die die Produktion aber gut gemeistert hat. Es gibt also Dinge, die kann man übernehmen, andere wiederum nicht. Drüber muss gesprochen werden.
Die Drehbücher habe ich alle gelesen und wo ich konnte, auch Einfluss darauf genommen.
Es war eine schöne Arbeit.
Sie haben rund 400 Kinderbücher illustriert, rund 40 Bücher geschrieben. Was hat sie bewogen, Kinderbuchautorin und -illustratorin zu werden?
Als ich anfing war ich sehr jung. Von meinem Elternhaus wurde ich nicht unbedingt unterstützt. Dort hatte man den Wunsch, dass ich etwas Anständiges mache. Meine Mutter schlug mir Porzellanmalerin in einer Porzellanmanufaktur vor, doch ich wusste, dass ich das nicht wollte.
Nach dem Abitur hatte ich den Wunsch, in den USA zu studieren. Das war aber sehr teuer und ich hatte das Geld dafür nicht. Also lernte ich tippen und fing an, als Sekretärin bei der US Army und bald darauf im Amerikahaus in Berlin zu arbeiten. Das war gleichzeitig eine Art Schule für mich. Dorthin kamen viele interessante Menschen, die Vorträge hielten, Autoren, die Lesungen hatten – ich erlebte Alice Walker, Joyce Carol Oates, E. L. Doctorow oder Salman Rushdie im British Council, das direkt daneben lag. Das war eine wunderbare Schule. Doch das Geld, das ich für das Studium hatte sparen wollen, verlor ich durch ein Unglück. Also musste ich neu überlegen. Mir war durch die zwei Jahre als Sekretärin klargeworden, dass ein klassischer Büroberuf von 9 bis 17 Uhr nicht meins war. Schon damals wollte ich etwas tun, das mir wirklich etwas bedeutet. Etwas, womit ich Menschen berühren konnte. Ich entschied mich, mich an der Hochschule der Künste zu bewerben und begann in meinen Mittagspausen dort zum Aktzeichnen zu gehen, denn großartigerweise war das damals jedermann zugänglich. Ich übte, stellte eine Mappe zusammen, bewarb mich an der Hochschule und wurde angenommen. So fing ich mit dem Studium der Visuellen Kommunikation an. Ich war ein bisschen enttäuscht vom Studium und mir wurde klar, ich muss etwas aus eigener Kraft machen, wenn ich etwas verändern wollte. Also habe ich in jeder freien Minute gezeichnet, habe Geschichten erfunden und sie illustriert. So ist das erste Buch, das zweite und dritte entstanden. Das letzte war in meinen Augen gut genug. Ich war damals zweiundzwanzig, besuchte Freunde in Cambridge und rief von dort aus bei Verlagen in London an. Einer lud mich tatsächlich ein und sagte mir, mein Stil erinnere ihn an Tommy Ungerer. Er riet mir, zu Methuen, einem großen englischen Verlag, zu gehen. Ich berief mich auf dieses Gespräch und Methuen bot mir an, wenn ich in Deutschland keinen Verlag finden würde, sollte ich mich bei ihnen melden. Also bin ich zurück nach Berlin, wo das Semester an der Uni bereits begonnen hatte und ich zu spät kam. Ich erklärte das meinem Professor damit, dass ich auf Verlagssuche war. Er schickte mich zu einem Kollegen, dem einzigen Professor, der irgendetwas mit Kinderbüchern am Hut hatte. Da war 1983/1984. Da ich beim ersten Besuch zu spät war, bekam ich einen neuen Termin. Beim nächsten Mal war ich überpünktlich und wartete in der Nähe der Hochschule, anstatt nach Hause zu gehen. Es war November und richtig kalt. Also bin ich in einen Kinderbuchladen gegangen und habe mir die Bücher in den Regalen angeguckt. Die Besitzerin sah mich mürrisch an, denn ihre Regale waren nicht sehr stabil und ich sah nicht so aus, als ob ich mir die Bücher dort leisten könnte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und zeigte ihr meine Mappe mit dem Entwurf für mein Kinderbuch. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf und sie stellte mich der Verlagsvertreterin von Middelhauve vor. Das war damals ein sehr guter Kinderbuchverlag. Sie nahm mein Buch sofort mit nach Köln und so fand ich mit 23 Jahren meinen ersten Verlag.
Übrigens brachte Methuen damals die englische Ausgabe heraus. Außerdem gab es eine Amerikanische, Skandivische und Japanische Ausgabe. Der Hessische Rundfunkt kam auf mich zu und von einem Tag auf den anderen konnte ich tatsächlich davon leben. Das ist nicht immer so.
Hat sich das Schreiben im Laufe der Jahre verändert?
Ganz sicher. Ich muss dazu sagen, meine Schulausbildung war englischsprachig. Ich habe elf Schulen in vielen Ländern besucht, darunter Türkei, Indien, Nigeria, USA usw. Zuletzt war ich auf der Deutsch-Amerikanischen Schule in Berlin, habe mein Abitur teilweise auf Englisch schreiben dürfen. Grammatikalisch war ich zwischen zwei Sprachen verhaftet, aber vor allen Dingen mehr im Englischen zuhause. Meine ersten Bücher habe ich deshalb noch auf Englisch geschrieben und zusammen mit Freunden ins Deutsche übersetzt.
Das ist meine Ermutigung an viele Kinder, die nach Deutschland oder Österreich kommen, die erst einmal denken, das ist eine fremde Sprache. Ich musste mir das auch erarbeiten und bin trotzdem Schriftstellerin geworden. Ich habe viel auf Deutsch gelesen und mit der Zeit den Mut gehabt, nach Bilderbuchgeschichten die ersten Kinderromane zu schrieben. Daraus hat sich immer mehr entwickelt und jetzt schreibe ich gerade an einem Roman für Erwachsene. Ich denke, wenn man im künstlerischen Bereich tätig ist, sollte man nie aufhören sich weiterzuentwickeln. Immer das Gleiche zu machen ist irgendwann tödlich. Sich immer wieder neu herauszufordern - das ist Lebendigkeit.
Sie haben bereits als Kind in verschiedenen Ländern gelebt. Fließen diese Auslandserfahrungen in ihre Kinderbücher ein?
Ja, das würde ich schon sagen. Ich habe sehr viele Lebensentwürfe gesehen, viele Formen des Zusammenlebens. Ich habe als Kind sehr oft in sogenannten „Wir-Gesellschaften“ gelebt. Das sind die Gesellschaften, wo die Gemeinschaft das wichtigste ist. Wie in der Geschichte von Ubuntu, in der sich Kinder bei den Händen nehmen und gemeinsam zu der Belohnung gehen. Keiner will der erste und Sieger sein. Das habe ich als Kind erfahren dürfen und das war eine sehr wichtige Erfahrung.
Meine Schulzeit in Indien war wahrscheinlich meine wichtigste Erfahrung, weil es beide Aspekte gab – die Entwicklung des Individuums und die Gemeinschaft. Die Schule war wie bei Harry Potter in Häuser eingeteilt, die gegeneinander im Wettstreit waren: im Sport, im Theaterspielen, in den Naturwissenschaften, im Tanzen und auch im Zeichnen. Meine „Mrs. McGonagall“ hat zu mir gesagt, ich solle im Zeichenwettbewerb antreten. Das habe ich getan und habe den ersten Preis gewonnen. Es war eine Auszeichnung ihn auf der Bühne entgegenzunehmen. Gleichzeitig habe ich, die Ehrung nicht nur für mich erfahren, sondern für unser Haus, für das ich damit Punkte gesammelt habe. Denn am Ende hat das Haus mit den meisten Punkten den Schulpokal gewonnen. Diese wunderbare Mischung, dass man etwas für sich, aber auch für die Gemeinschaft getan hat, war eine wichtige Erfahrung, die mich auch künstlerisch sehr gefördert und später darin bestärkt hat, weiterzumachen.
Hier im Gerstenberg Verlag sind ja auch ein paar besondere Kinderbücher von Ihnen erscheinen. 2021 erschien beispielsweise eine Neuauflage von „Nora und der große Bär“. Welche Bedeutung hat das Bilderbuch für Sie?
Als ich die Geschichte geschrieben habe, hatte ich William Faulkners „The Bear“ gelesen. Die Geschichte von Faulkner hat mich berührt. Es war die Zeit als der „Club of Rome“ die ersten Warnungen Richtung Umweltschutz aussprach, die jahrelang ignoriert wurden. Das war mit Anlass für dieses Buch. Denn der Bär steht für die Natur, die wir kontrollieren und besiegen und die, wie es schon in der Bibel steht, uns untertan machen. Mit diesem Gedanken ziehen die Jäger in der Geschichte los. Nora, die in dieser Gesellschaft aufwächst, macht das gleiche wie die Jäger. Aber sie lernt im Laufe der Handlung hinzu. Sie lernt, dass man der Natur anders begegnen muss und deswegen lässt sie alles was Kontrolle bedeutet zurück, in ihrem Fall, als kleine „Jägerin“, die Waffen. Erst dann beginnt der Bär sich zu zeigen - seine Umrisse, die immer stärker werden, erscheinen in den Zeichnungen. Und Nora folgt seinen Spuren, die plötzlich im Schnee sind, nur verliert Nora dabei ihren Weg. Wie wir auch unseren Weg verloren haben. Alles scheint verloren, doch in dem Moment zeigt er sich, der große Bär, und Nora steht ihm voller Angst gegenüber, bis sie den Mut hat, ihn anzuschauen und erkennt wie schön er ist. Und jetzt, wo sie begreift, lässt sie sich vom Bären nach Hause führen. Der indische Philosoph Krishnamurti, der eine Art Sokrates in Indien war, sagte einmal, dass wenn man sich vor etwas fürchtet, man dieser Furcht nur ins Auge schauen muss, denn nur so kann man anfangen, sie zu überwinden. Statt wegzuschauen, hinzuschauen. Das hat mich damals inspiriert und das ist das, was auch Nora tut.
Das ist die eine Geschichte zu dem Buch.
Es gibt auch die, warum es ein zweites Leben bekommen hat: Nachdem der Bloomsburry Verlag aufgelöst wurde, bekam ich meine Bilderbuchrechte zurück. Auf der Frankfurter Buchmesse traf ich Daniela Filthaut wieder, die ich in den 1990-iger Jahren, als ich die Münchner Filmhochschule besuchte, zufällig kennengelernt habe. Sie wollte ein Buch von mir neu auflegen, das sie bei ihren vielen Umzügen immer begleitet hat: „Nora und der große Bär“. Das Buch war zu der Zeit vergriffen, mir fehlten außerdem einige der Originale und so zeichnete ich sie neu. Aber ich konnte keine neuen Bilder nahtlos an Bilder anknüpfen, die ich vor 30 Jahren gezeichnet habe. Darum habe ich das Buch dann ganz neu illustriert.
In diesem Jahr kommt eine weitere Weihnachtsgeschichte hier bei Gerstenberg: „Feiern die auch mit?“. Was hat es mit diesem Buch auf sich?
Das Buch ist bei Bloomsbury vor vielen Jahren erschienen und als es den Verlag nicht mehr gab, gab es die Bücher irgendwann auch nicht mehr. Etliche Buchändler*innen fragten mich danach und so fragte ich Daniela, ob sie daran Interesse hätte dieses Bilderbuch und deren Vorgänger „Wann gehen die wieder“ neu herauszubringen. Sie sagte ja.
„Wann gehen die wieder“ schrieb ich, weil ich damals selbst mit einer Patchworkfamilie lebte und wusste, was das für die Kinder bedeutet, in einer solchen zu leben. Also habe ich beschlossen, darüber zu schreiben. Der erste Satz des Buches ist übrigens ein Zitat von meinem Sohn, der in der ersten Klasse seine Familie beschreiben sollte. Damals waren Patchworkfamilien noch nicht ganz so häufig wie heute. Er schrieb: „In meiner Familie gibt es 10 bis 20 Personen.“ Ich fand seine Worte so inspirierend, dass ich daraus den ersten Satz für das Buch gemacht habe.
Bloomsbury bat mich damals, noch ein zweites zu schreiben. Eine Freundin von mir, die ebenfalls Patchworkerfahrung hatte, erzählte mir von ihren Weihnachtsfesten. Wie sie erst zu den Schwiegereltern gingen, wo die Kinder schön angezogen sein mussten, bei ihren Eltern war dagegen alles sehr locker und in der Familie ihres neuen Freundes war es dann wieder ganz anders. Das war die erste Idee, aus der das zweite Buch geboren wurde.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Gerade ist ein neuer Muskeltierband erschienen, „Die Muskeltiere und Ewig Fünfter“. Einen weiteren Muskeltierband habe ich in der Pipeline. Außerdem arbeite ich an meinem Erwachsenenroman, den ich gerade überarbeite und für den ich noch einen Verlag suche.
Liebe Frau Krause, ich wünsche Ihnen ganz viel Erfolg bei den Romanprojekten. Vielen Dank, dass Sie sich hier auf der Frankfurter Buchmesse die Zeit für ein Interview genommen haben.
Theo und das Geheimnis des schwarzen Raben
cbj, Oktober 2018
ISBN: 978-3-570-17579-8
Die Muskeltiere - Einer für alle, alle für einen
cbj, September 2014
ISBN: 978-3-570-15903-3
Minus Drei wünscht sich ein Haustier (1)
cbj, Februar 2014
ISBN: 978-3-570-15892-0
Minus Drei und der Zahlensalat (3)
cbj, September 2014
ISBN: 978-3-570-15906-4