Egal war gestern

von Jörg Isermeyer
Rezension von Janett Cernohuby | 27. September 2024

Egal war gestern

Rechter Hass, Hetze, Gefährdung der Demokratie. Unsere Gesellschaft verroht immer mehr, Rassismus und Antisemitismus werden zunehmend salonfähiger, wer dagegenspricht wird beschimpft. Stellung zu beziehen ist in derzeit schwerer als zuvor. Dennoch tut es Jörg Isermeyer mit seinem Jugendroman und legt damit eine aufwühlende Geschichte vor.

(K)ein Platz für Rassismus

Eine fiktive Schule, ein fiktiver Ort, ein fiktives Netzwerk, fiktive Charaktere - aber was sich dazwischen abspielt, sind wahre Abbilder unserer derzeitigen Gesellschaft.
Finn und sein Freund Lennard posten auf ihrem Social Media-Kanal witzige Videos, die die beiden selbst gedreht haben. Sie sind zwar noch keine Berühmtheiten, aber bisher läuft alles super. Bisher, denn nachdem Sam – eine Schülerin, deren Eltern aus Angola stammen – ihnen einen Deal vorgeschlagen hat, bei dem sie sich gegenseitig pushen, gerät Finns Welt aus den Fugen. Es beginnt mit Hasskommentaren unter Sams Beiträgen, die ihm auffallen. Als er das Mädchen darauf anspricht, zuckt sie nur mit den Schultern. Sie hat sich mit dem täglichen Rassismus abgefunden, lässt die Hater gewähren, lebt still vor sich hin. Finn fällt das schwer, genau wie seinem Vater, der ebenfalls über rassistische Entwicklungen in der Schule, an der er unterrichtet und an die auch Finn geht, besorgt ist. Als er jedoch beginnt, dagegen aufzubegehren und Beschwerdebriefe zu schreiben, gerät die Sache außer Kontrolle. Plötzlich kippt die Stimmung, der Hass richtet sich gegen Finn und seine Familie. Es beginnt mit Anfeindungen auf dem Schulhof und setzt sich über Drohungen in Sozialen Netzwerken und an anderen Stellen fort.

Fiktive Geschichte, reale Hintergründe

Was Jörg Isermeyer in seinem Roman beschreibt, geht unter die Haut und lässt einen nachdenklich zurück. Der Autor erzählt von Rassismus und Anfeindung, von Verrohung und vom Wegsehen. Wenngleich im Buch Ort, Charaktere und Story fiktiv sind, haben die Bausteine doch reale Vorlagen. Schauen wir uns doch einmal um, werfen wir einen Blick auf die derzeitigen Landtags-, Nationalrats- und sonstige Wahlen. Auf den geführten Wahlkampf, die aggressive und verrohte Sprache, mit der Politikerinnen und Politiker auftreten. Werfen wir einen Blick in das unmittelbare Umfeld, in die Nachbarschaft, den Bekanntenkreis, die Familie. Auch hier ist Ähnliches zu beobachten. Ein Abbild davon zeichnet Jörg Isermeyer in seinem Jugendbuch. Finns Vater, ein Lehrer, zeigt Missstände an seiner Schule auf und sticht damit in ein Wespennest. Es folgen die üblichen abgedroschenen Phrasen, beginnend bei „das ist doch gar nicht so gemeint“ über „das sind doch nur Jugendstreiche“ bis hin zu „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Es endet damit, dass die Familie die Flucht ergreifen muss. In eine andere Stadt, von wo aus sie ihren Kampf weiterführen. Und dennoch fühlt es sich wie eine Kapitulation an. Die Kleinstadt bleibt bei ihrer Gesinnung, hat einen radikalen Bürgermeister gewählt, der lautstark weiterbrüllt.
Erzählt werden die Ereignisse aus Finns Perspektive. Das macht die Situation für die Leserschaft greifbarer, spürbarer. Man ist hautnah dabei, erlebt seine Ängste mit, nimmt Anteil an Finns Gedankengängen. Man sieht, wie sich langjährige Freunde abwenden, wie sich Kolleg*innen zurückziehen, aus Angst, aus Resignation. All diese kleinen Fragmente, diese verschiedenen Ereignisse, geben zu denken. Sie klingen lange in der Leserschaft nach und bringen dazu, sich selbst zu hinterfragen. Wäre man bereit, wie Finn und sein Vater den Kampf aufzunehmen oder würde man sich lieber in den trügerischen Schutz der zweiten Reihe zurückziehen?
Egal wie die eigene, persönliche Antwort lautet, sein Ziel hat der Autor auf jeden Fall erreicht. Er bringt mit seinem Buch dazu, dass sich junge Lesende mit dem Thema auseinandersetzen und sich Gedanken machen. Über Rassismus, über Hetze im Netz, über Demokratie.

„Egal war gestern“ ist ein fiktiver Jugendroman mit realen Vorlagen. Es ist ein Buch, dass Jugendliche an aktuelle gesellschaftliche und politische Themen heranführt, ihr Interesse weckt und ihren Blick schärft.

Details

  • Autor*in:
  • Genre:
  • Erschienen:
    08/2024
  • Umfang:
    206 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • Altersempfehlung:
    12 Jahre
  • ISBN 13:
    9783779507482
  • Preis (D):
    14,90 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:

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