Annies Welt

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von Josephine Angelini
Rezension von Janett Cernohuby | 13. Januar 2020

Annies Welt

Geschwister zu haben und in einer großen Familie zu leben ist toll. Man ist nie alleine, kann immer um Hilfe bitten und fühlt sich geborgen.
Zumindest ist es das Idealbild, das man sich vorstellt. Familie sollte so funktionieren. Aber oft tut sie es nicht, sondern ist das komplette Gegenteil. Davon kann auch die zehnjährige Annie ein Lied singen, die zusammen mit sieben Schwestern und einem Bruder unter einem Dach lebt.

Eine furchtbare Kindheit

Als jüngste von neun Geschwistern hat Annie es nicht leicht. Im Gegenteil. Die großen Schwestern quälen die jüngeren und lassen sie ihre Macht spüren. Annie wird von ihnen als Zwerg bezeichnet und zu jeder Gelegenheit drangsaliert. Hilfe von ihren Eltern kann Annie nicht erwarten. Der Vater geht drei Jobs nach, das Geld reicht für die Großfamilie trotzdem nicht. Die Mutter ist mit ihren Kindern nicht nur überfordert, sie ist obendrein auch mit sich selbst und ihrem Zwang, mehr oder weniger wertlose Dinge zu sammeln, beschäftigt. So kommt es, dass die Geschwister sich um sich selbst kümmern müssen: Die Älteren versorgen die Kleinen, gehen Nebenjobs nach, um Geld für die Familie und Kleidung zu beschaffen. Natürlich leidet Annie sehr unter der Situation, selbst wenn sie es sich selbst nicht eingesteht. Nein, das junge Mädchen hat ein fröhliches, positives Gemüt. Anstatt mit ihrer Familiensituation zu hadern, sieht sie immer die guten Dinge. Annie leidet unter einer Leseschwäche. Die Buchstaben verschwimmen und tanzen vor ihren Augen durcheinander. Dafür geben ihr Zahlen Halt und sind ihre Freunde. Freunde hat sie auch in der Schule, darunter Jordan. Er ist da, wenn es brenzlig wird.
Doch dann läuft das Fass über. Annies Schwester Nora haut ab. Nur widerwillig informieren die Eltern die Polizei. Nora wird bald gefunden und nach Hause zurückgebracht. Jetzt wird auch eine Sozialarbeiterin auf die Familiensituation aufmerksam und bietet ihre Hilfe an. Doch die wird nur zaghaft angenommen. Denn egal wie schlimm alles auch ist, noch größer ist Annies Angst, ihre Geschwister und die Eltern zu verlieren. Sie weiß, mit einer Familientherapie schaffen sie auch diese schwere Situation.

Ein erschütternder Jugendroman

Nein, es ist keine fröhliche Geschichte, die Josephine Angelini ihren jungen Leserinnen und Lesern präsentiert. Es ist kein lustiger Unterhaltungsroman über eine Großfamilie, die durch Zusammenhalt und Gemeinschaft ihren turbulenten Alltag meistert. Im Gegenteil. Es ist eine bedrückende Geschichte, die unter die Haut geht. Und noch tragischer, die autobiographische Elemente enthält. Wir lernen ein junges Mädchen kennen, das in einer Großfamilie der 1980-iger Jahre aufwächst. Schnell werden die furchtbaren Familienverhältnisse deutlich: die fehlende Hilfe, Unterstützung und vor allem die Geborgenheit der Eltern. Stattdessen gibt es Gewalt - psychisch und physisch. Viel zu früh müssen die Kinder lernen, sich um sich selbst zu kümmern.
Doch es ist nicht nur diese beklemmende Situation, die den Leser berührt, sondern auch der Schreibstil der Autorin. Teilweise ist die Sprache - die Ereignisse werden aus Annies Sicht und in der Ich-Perspektive erzählt - kindlich naiv. Annie strahlt eine positive Grundstimmung aus, die gar nicht zu den tatsächlichen Umständen passt. Man spürt, wie sie sich immer wieder für ihre Familie und deren Verhalten rechtfertigt. Wie sie alles entschuldigt und den Schein wahrt. Das verstärkt die beklemmende Atmosphäre und weckt bei der Leserschaft den Wunsch, dass doch bitte endlich jemand dieser Familie, nein, Annie und ihren Schwestern hilft.
Ein Happy End gibt es nicht, aber dennoch eine soweit gute Wendung, dass zumindest das Jugendamt auf die Familie aufmerksam wird. Ob es langfristig hilft, ob es Annie zu einem besseren Leben, besseren Zukunftschancen verhilft, bleibt offen. Überhaupt bietet das Buch ein offenes Ende mit vielen Möglichkeiten. Gleichzeitig ist es ein realistisches Ende. Denn dass sich derartige Familiensituationen um 180 Grad wenden, ist eher unrealistisch. So wirkt das Buch auch nach der Lektüre noch nach. Man legt es nicht einfach zur Seite und greift zum nächsten. Nein, man geht manche Situationen noch einmal durch, schüttelt den Kopf und empfindet Mitleid mit der jungen Protagonistin. Das macht das Buch jedoch weniger geeignet für Kinder, sondern rückt es eher in den Jugendbuchsektor.

„Annies Welt“ ist keineswegs eine heile oder gar unbekümmerte. Nein, sie ist voll von Vernachlässigung, fehlender Geborgenheit und Fürsorge. Doch das Mädchen meistert ihren Alltag trotzdem, lässt sich nicht entmutigen, sondern kämpft weiter. Für sich selbst, für ihre Geschwister und für ihre Eltern, obwohl es nicht alle gleichermaßen verdient haben. Josephine Angelini präsentiert uns hier einen Roman, der unter die Haut geht und erschüttert.

Details

  • Originaltitel:
    A Feiwel an Friends Book
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    10/2019
  • Umfang:
    240 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    12 Jahre
  • ISBN 13:
    9783791501109
  • Preis (D):
    17,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:
  • Gefühl:

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