Komm mir nicht zu nah

von Erna Sassen
Rezension von Katrin Hof | 09. Oktober 2016

Komm mir nicht zu nah

Die Beziehung zwischen Geschwistern ist geprägt von negativen und positiven Gefühlen zueinander. Während in der Kindheit noch große Nähe besteht, wird die Distanz mit den Jahren aufgrund von unterschiedlichen Lebensentwürfen oft größer. Nicht so bei den Schwestern Reva und Marjolein. Während Marjolein mitten im Leben steht, befindet sich Reva auf einer riskanten Gratwanderung, die Erna Sassen eindrücklich in ihrem Buch „Komm mir nicht zu nah“ schildert.

Die nächtlichen Anrufe von Reva, die in negativen Monologen münden, stellen die schwesterliche Fürsorge von Marjolein auf die Probe. Revas Leben gerät immer mehr aus den Fugen, denn sie hat den Kontakt zu sich selbst verloren und schlittert von einer Grenzüberschreitung in die nächste. Dem nicht genug tragen eine Essstörung und die schwierige Suche nach einem Platz in dieser Welt dazu bei, dass die Sehnsucht nach echter Aufmerksamkeit zu einem alltäglichen Kampf zwischen Selbstverachtung und Selbstbestimmung wird. Marjolein steht vor einer großen familiären Verantwortung. Wie viel Selbstzerstörung kann eine Geschwisterbeziehung aushalten?

„Komm mir nicht zu nah“ von Erna Sassen ist ein brillantes, bewegendes Jugendbuch auf höchstem Niveau. Im Zentrum dieser authentischen, herausragenden Geschichte steht eine junge Frau, die ihren Platz im Leben erst finden muss. In einer destruktiven Gedankenwelt gefangen, kämpft Reva Tag für Tag mit Herausforderungen, in die sie sich selbst manövriert. Ihr Leben ist ein Drahtseilakt und lediglich der Kontakt zur Außenwelt stillt ihren Wunsch nach Sicherheit und Lebendigkeit. Sanftmütig, behutsam und mit einem zynischen Unterton erzählt Marjolein die bedrückende Geschichte ihrer jüngeren Schwester Reva, die den Leser durch ihr ambivalentes Wechselspiel aus Nähe und Distanz in den Bann zieht. Ohne die Protagonistin zu stigmatisieren, schildert die Autorin die psychosozialen Probleme von Reva und lässt dem Leser den erforderlichen Spielraum, um sich selbst darüber Gedanken zu machen, wie es dazu gekommen ist. Der Selbsthass und die selbstzerstörerischen Verhaltensweisen sind bedrückend, aber Erna Sassen schafft es, den Roman in ein genussvolles Lesevergnügen zu verwandeln. Dies gelingt ihr, indem die traurigen Episoden des Romans so gefühlvoll von spürbarem Lebenswillen begleitet werden, der auf eine positive Wandlung der Geschichte hoffen lässt. Die kämpferische, selbstzerstörerische Persönlichkeit der Protagonistin wird so eindrucksvoll und glaubhaft dargestellt, sodass der Leser sich in die Innenwelt von Reva hineinversetzen kann, ohne sie unbedacht aufgrund ihrer impulsiven Handlungen zu verurteilen. Gleichzeitig wird man auch zum Zeugen einer besonderen Geschwisterbeziehung. Wird es Marjolein gelingen, ihre Schwester wieder auf den richtigen Weg zu bringen?

„Komm mir nicht zu nah“ von Erna Sassen ist ein berührendes, überragendes Jugendbuch ab 14 Jahren über eine besondere Geschwisterbeziehung, die auf eine harte Probe gestellt wird. Es erzählt von Reva, die Schwierigkeiten hat, einen Platz in der Welt zu finden und ihrer Schwester Marjolein, die mit dem richtigen Verhältnis zwischen Nähe und Distanz ringt. Das Buch fesselt, bewegt und schildert eindrucksvoll den Balanceakt zwischen Selbstverachtung und Selbstbestimmung.

Details

  • Autor*in:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    08/2016
  • Umfang:
    176 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    14 Jahre
  • ISBN 13:
    9783772528620
  • Preis (D):
    18,90 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gefühl: