Im Leben ist es oft vieles eine Frage der eine Betrachtungsweise. Zugegeben, es ist ein Unterschied ob ein Glas halbvoll oder halbleer ist oder ob man unter einer Rechtschreibschwäche leidet. Denn letzteres hat vor allem für unsere schulischen und später beruflichen Leistungen Folgen. Doch sollte man Kindern mit einer solchen Schwäche anstatt mit zusätzlichem Leistungsdruck und Vorwürfen eher mit Verständnis und Unterstützung begegnen? Die Autorin Anja Janotta widmete sich in ihrem Kinderbuch dieser Thematik und machte aus der Rechtschreibschwäche eine "Linkslesestärke".
Mira geht in die dritte Klasse und ein Fach kann sie gar nicht leiden: Deutsch, um genauer zu sein, Schreiben. Denn mit der Rechtschreibung steht sie auf Kriegsfuß. Irgendwie purzeln die Buchstaben immer durcheinander und stehen am Ende in der Mitte - jedenfalls nie so, wie es die Norm verlangt. Und noch etwas fällt Mira schwer: sich Namen einzuprägen. Dass sie ihren Namen und den ihres Bruders weiß, grenzt fast schon an ein Wunder. Dafür kann Mira etwas anderes. Sie kann mit Buchstaben jonglieren. Gekonnt schiebt sie diese von vorne nach hinten oder in die Mitte und erschafft so die lustigsten Kreationen, wie Lürdenhauf, Kohlhöpfe oder Schnakritzlecken. Doch nicht alle finden das lustig. Im Gegenteil, in der Schule wird Mira wegen ihrer Rechtschreibschwäche von Schülern gehänselt, von Lehrern unter Druck gesetzt und auch Zuhause bekommt sie mehr Leistungsdruck und weniger Unterstützung. Nur ihr ältester Freund versucht sie aufzubauen und erklärt ihr, dass sie keine Rechtschreibschwäche, sondern eine Linkslesestärke hat. Doch als in der Schule aus den Hänseleien richtige Mobbingattacken werden, scheint auch der beste Freund nicht mehr zu Mira zu halten.
"Linklesestärke" ist ein sehr ergreifendes Buch über das Thema Rechtschreibschwäche. In der Ich-Form erzählt, zeigt es jungen Lesern, wie man sich mit einer solchen Schwäche fühlt. Dabei geht die Autorin sehr einfühlsam und feinfühlig vor. Mira stellt sich uns vor, bietet uns ihre Freundschaft an, sagt aber gleich, worin ihre größte Schwäche liegt. Sie erklärt uns, dass sie dies nicht aus Böswilligkeit tut, sondern dass sie nun mal so ist. Tatsächlich ist Mira ein sehr kreatives, kluges, witziges und vor allem sympathisches Mädchen. Sie ist ein Mädchen, das wie alle anderen Spaß und Freunde haben will, jedoch nur Unverständnis und Enttäuschung erntet. Keiner gibt ihr aufgrund ihrer Schwäche eine Chance, sondern stempelt sie gleich ab. So wird sie schnell zum Ziel für den Klassenspot. Sehr schön ausgearbeitet ist hier Miras Feindin, die Fiese. Sie schafft es, Stimmung gegen Mira zu machen und selbst die Lehrer gegen sie auszuspielen. Am Ende geht es Mira immer schlechter, doch scheinbar nehmen das die Erwachsenen um sie herum kaum wahr.
Diese Szenen beschreibt Anja Janotte sehr realistisch und überzeugend. Sie rührt den Leser zu Tränen, lässt die Frage entstehen, warum denn niemand Miras Leid sieht. Erst als sie zusammenbricht hört ihr jemand zu und plötzlich wendet sich für sie das Blatt. Warum sie sich nicht schon früher an jemanden gewandt hat? Nein, diese Frage stellt man sich als Leser zu keiner Zeit, da es allzu offensichtlich ist, warum Mira sich abkapselt.
Das Buch eignet sich für Leser ab neun Jahren. Wenngleich ein Mädchen in der Hauptrolle ist, richtet es sich an Jungs gleichermaßen. Denn hier geht es darum zu zeigen, wie sehr Kinder unter eine Rechtschreibschwäche leiden. Gleichzeitig macht sie Kindern mit einer solchen Schwäche Mut und zeigt ihnen, dass sie sich dafür nicht schämen brauchen.
Zusammengefasst ist "Linkslesestärke" von Anja Janotta ein wundervolles und ergreifendes Buch. Hier wird eine witzige Geschichte erzählt, der dennoch auch viel Traurigkeit innewohnt und die zum Nachdenken anregt. Nur allzu gern möchte man am Ende der Lektüre Miras Freundin sein. Daher empfehlen wir das Buch weiter, damit Mira noch viele Freunde findet.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:03/2015
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Umfang:240
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Typ:Hardcover
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Altersempfehlung:8 Jahre
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ISBN 13:9783570163399
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Preis (D):12,99 €