Die bemerkenswertesten kulturellen Unterschiede verschiedener Länder und Volksgruppen manifestieren sich in der Literatur, die verfasst und gelesen wird. Dies bezieht sich sowohl auf die Thematik als auch um die sekundäre kulturelle Komponente - denn oft wird auf Metaphern und Gleichnisse Bezug genommen, die andernorts unbekannt sind. Dem in China geborenen und in Frankreich lebenden Künstler Chen Jianghong wird darüber hinaus noch das Überschreiten von Grenzen nachgesagt, weswegen wir uns sein Kinderbuch Der kleine Fischer Tong einmal näher angesehen haben.
Neben allem hektischen Treiben in der urbanisierten Welt gibt es Menschen, die an ihrem Rande einem ursprünglicheren Beruf nachgehen, wie beispielsweise dem Fischen. Einer dieser Menschen ist der kleine Tong, der täglich ums Überleben kämpfen muss und daher auch risikoreiche Ausfahren wagt, wie auch an einem Tag mit gefährlich schlechtem Wetter. Inmitten eines Sturms scheint er den Fang seines Lebens zu machen, ist aber entsetzt, als er sieht, was an seiner Leine hängt. Es handelt sich um ein Skelett, und darüber hinaus auch noch ein aufrecht stehendes. Geschockt versucht Tong den ungebetenen Passagier loszuwerden, schafft es aber nicht. Als er ihm am Strand wieder begegnet, wird der kleine Fischer ohnmächtig. Das offenbar überhaupt nicht bösartige Skelett wird dadurch erst auf seine eigene, schockierende Erscheinung aufmerksam und schämt sich. Doch als Tong mit dem Skelett zu interagieren beginnt, ihm Wärme spendet und Essen serviert, verwandelt sich das Gerippe zu dem Mann, das es einst war. Und dieser kann Tong einiges bieten...
Um eines vorweg zu nehmen. Der Verfasser dieser Rezension ist in der Regel nicht um Worte verlegen - und dafür bekannt in jeglicher Geschichte wahre (oder eingebildete) philosophische und manchmal sogar pädagogische Winke mit dem Zaunpfahl aufzuspüren. Doch im Fall dieser Kritik kann wirklich nur noch die Spürnase herhalten. Am einfachsten zu beurteilen ist der Zeichenstil. Die Zeichnungen sind eher rudimentär gehalten, mit einer Vorliebe für gleichfarbige Flächen ohne wirkliche Schattierungen - bis auf einige wenige Ausnahmen. Für ein Kinderbuch wäre das möglicherweise angemessen. Aber die Geschichte eines wandelnden Skeletts, dem man durch Zuwendung zu seinem alten Ich verhilft, ist wirklich keine einfache Sache. Möglicherweise will der Autor darauf hinweisen, dass durch Globalisierung und Urbanisierung Berufe wie einfache Fischer oder Seeleute aussterben und vergessen werden. Dass man sich durch Förderung kränkelnder oder Revitalisierung bereits ausgestorbener Berufe ein Stück Kultur zurück holen könnte. Dass diese der "neuen und unwissenden" Jugend möglicherweise helfen könnte, Schwierigkeiten zu überwinden und letztendlich eine bessere Zukunft zu schaffen. Ein ziemlicher Schuss ins Blaue, zugegeben. Aber selbst wenn dem so wäre, es funktioniert nicht. Denn die Nuancen der Informationen muss man sich erst zusammensuchen - und wer will das von einem sechsjährigen Kind verlangen? Denn ab diesem Alter ist das Buch gedacht. Und diese werden möglicherweise eher Probleme mit dem Skelett haben.
"Der kleine Fischer Tong", ein neues Bilderbuch des in Frankreich lebenden Chinesen Chen Jianghong, lässt und ziemlich ratlos zurück. Obwohl wir im Normalfall Metainformationen der Handlung erkennen, waren unsere Deutungen diesmal lediglich Schüsse ins Blaue. Daher können wir das Buch, welches die Begegnung eines kindlichen Fischers mit einem Skelett thematisiert, leider nicht empfehlen.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:08/2014
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Umfang:48 Seiten
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Typ:Hardcover
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Altersempfehlung:10 Jahre
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ASIN:3895652849
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ISBN 13:9783895652844
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Preis (D):18 €