Lauf, kleiner Spatz!

Antolin Quiz
von Brigitte Weninger, Anna Zeh (Illustrator*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 04. Juli 2022

Lauf, kleiner Spatz!

Wir alle lieben Geschichten mit Happy End. Doch wie im wahren Leben, kann nicht jede Geschichte wirklich glücklich enden. Manchmal endet sie einfach nur glimpflich. Ein Unglück ist geschehen, es wurde getan was möglich ist, aber wie früher kann das Leben nicht mehr werden. Stattdessen haben die Charaktere gelernt, mit den neuen Gegebenheiten zurecht zu kommen. Eine solche Geschichte ist „Lauf, kleiner Spatz!“ von Brigitte Weninger und Anna Zeh.

Ein Unfall mit Folgen

In einem kleinen Wald am Stadtrand leben Maus und Spatz. Sie sind gute Freunde und unternehmen viel gemeinsam. Eines Tages zieht ein schreckliches Gewitter auf. Eine Windböe erfasst Spatz und er wird schwer verletzt. Zwar weiß der alte Rabe sofort was zu tun ist und legt Spatz einen Verband an, doch die Flügel sind anders als früher. Spatz wird nie wieder fliegen können. Der kleine Vogel ist schockiert. Was soll er nun tun? Wo soll er leben? Was soll er essen? Ist er denn überhaupt noch ein Vogel, wenn er gar nicht mehr fliegen kann? Zum Glück ist Maus an seiner Seite. Sie tröstet ihn, spricht ihm Mut zu und holt ihn Schritt für Schritt ins Leben zurück. Außerdem sagt Maus, dass Spatz nun zwar keine Flügel mehr hat, aber immer noch zwei Beine, mit denen er von nun an durchs Leben laufen kann. Immer wieder ermutigt Maus ihren gefiederten Freund, baut ihn auf und freut sich über Fortschritte. Bald schon sind Spatz‘ Beine kräftig genug, um mit Maus durch den Wald zu laufen und wieder Lachen zu können. Auch wenn nichts mehr wie früher sein wird.

Lauf, kleiner Spatz!

Berührende und Mut machende Geschichte

Behutsam erzählt Brigitte Weninger eine sehr emotionale Geschichte. In ihr geht es um Unfälle und ihre Folgen. Ein kleiner Spatz verletzt sich seinen Flügel so stark, dass er ihn nicht mehr zum Fliegen verwenden kann. Sein ganzes Leben gerät aus den Fugen, ja selbst seine Identität stellt der Spatz in Frage. Ist er überhaupt noch ein Vogel, wenn er nicht mehr fliegen kann? Und was soll er nun tun? Wie soll er sich in der Natur zurechtfinden, wie überleben? Der Spatz verzweifelt, doch sein Freund die Maus und der alte Rabe, der ihn bei der Heilung begleitet, machen ihm immer wieder Mut. Sie zeigen ihm, dass es andere Möglichkeiten gibt. Sein Flügel bleibt verletzt, sein bisheriges Leben kann der Spatz nicht mehr führen. Nach und nach akzeptiert er diese Tatsache, arrangiert sich damit und findet für sich ein neues Leben. Von nun wird nicht mehr geflogen, sondern gelaufen.
Feinfühlig erzählt Brigitte Weniger die Geschichte über Trauma, Behinderung und Wiedergewinnung der Lebensfreude. Es ist die Geschichte eines Vogels, die aber problemlos auf Menschen umgelegt werden kann. Die Figur des Vogels hilft beim Externalisieren. Sie schlägt eine Brücke nach außen und ermöglicht es Kindern, sich in die Situation des Spatzens hineinzuversetzen, ihn zu verstehen und mit ihm mitzufühlen. Das gleiche gilt auch für die Rolle der Maus, die motiviert, bei der Heilung unterstützt und ihrem Freund zeigt, dass trotz seiner Behinderung das Leben weiterhin schön ist. Damit kommt dem Buch eine ganz wichtige Rolle und Bedeutung zu - nicht nur für Kinder, die ähnliches erfahren, sondern auch für ihr Umfeld.
Bereits 2002 hat die Autorin das erste Mal von dem kleinen Spatz erzählt, nun hat der Tyrolia Verlag diese Geschichte ein weiteres Mal aufgegriffen und neu von Anna Zeh illustrieren lassen. Diese Bilder sind sehr fein und gefühlvoll gezeichnet. Teilweise wirkt ihre Farbgebung dunkel, doch damit wird die traurige Lage des Spatzen, seine Trostlosigkeit und Verzweiflung umso spürbarer dargestellt. Doch immer dringt auch das Grün der Hoffnung durch und mit dem beginnenden Frühling hat der kleine Spatz sein Lachen wiedergefunden.

Lauf, kleiner Spatz!

„Lauf, kleiner Spatz!“ ist eine berührende und Mut machende Geschichte über Schicksalsschläge, Trauma, Behinderung und die Kraft, einen Neuanfang zu starten. Brigitte Weninger erzählt die Geschichte sehr feinfühlig und behutsam, während Anna Zeh mit ihren feinen Zeichnungen nicht nur liebenswürdige Charaktere schuf, sondern auch Hoffnung und Zuversicht mitgibt. Ein wundervolles Bilderbuch und eine starke Geschichte.

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