Antoinette Lühmann im Interview - Sternengreifer

Beitrag von Janett Cernohuby | 14. April 2015

Gefährliche Geheimnisse, spannende Abenteuer, charismatische Protagonisten - diese Ingredienzien vereinte Antoinette Lühmann bereits in ihrem Debüt-Jugendroman sehr erfolgreich. Hieran knüpfte sie an und präsentierte ihren Lesern im Frühjahr 2015 einen weiteren, spannenden Roman mit dem Titel 'Sternengreifer''. In diesem gehen die Helden in die Luft und der Leser hält selbige bei der Lektüre so manches Mal an. Wir baten Antoinette Lühmann zum Interview, einer Einladung, der sie gerne folgte.

Janetts Meinung:
Was erwartet den Leser in 'Sternengreifer''?

Antoinette Lühmann
Antoinette Lühmann:
„Sternengreifer“ ist die Geschichte von Benedict, einem Jungen, der vom Fliegen träumt und ein berühmter Erfinder werden will. Da er in einem Waisenhaus aufwächst, hat er eigentlich keine Chance, dieses Ziel zu verfolgen. Er muss alles riskieren und das tut er auch. Aber es gibt noch einige Leute, die ihm Steine in den Weg legen und sogar sein Leben bedrohen…

JM:
In 'Sternengreifer' entführen Sie ihre Leser in die Straßen Paris. Wie kamen sie auf diesen Schauplatz? Wie kamen Sie auf die Idee, die Anfänge der Luftschifffahrt als Thema aufzugreifen?

AL:
Ich liebe die alten Zeichnungen von Leonardo da Vinci. Wenn ich sie ansehe, habe ich immer das Gefühl, da hat jemand sich nicht von der Vernunft oder der Angst einengen lassen, sondern nach dem Besonderen gesucht. So etwas Außergewöhnliches wollte ich für meine Geschichte: jemanden, der sich nicht von der „Gesellschaft“ aufhalten lässt und über sich hinauswächst. Als ich dann von da Vinci Flugmaschinen-Zeichnungen inspiriert über die Luftfahrt recherchiert habe, war schnell klar, dass viele berühmte Erfinder aus dieser Zeit (wie Monsieur Giffard) aus Paris stammen. Und da dort gerade die halbe Stadt abgerissen wurde und die Bevölkerung in Aufruhr war, hatte ich einen aufregenden Schauplatz für meine Geschichte gefunden.

JM:
Im Buch beschreiben sie Paris sehr bildlich, so dass man während der Lektüre oft das Gefühl hat, mitten in den Straßen der Metropole zu stehen. Haben Sie Paris für die Entstehung dieses Romans besucht?

AL:
Als ich meinen Roman „Das Geheimnis des Spiegelmachers“ geschrieben habe, bin ich allein nach Amsterdam gefahren und einige Tage durch die Straßen und die Museen gelaufen und natürlich auf den Grachten gefahren, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen. Ich habe unzählige Fotos gemacht, aber beim Schreiben brauchte ich die kaum, weil ich eben wusste, wie es sich anfühlen sollte, dort herum zu laufen. Ich wollte beim Schreiben vom „Sternengreifer“ sehr gern nach Paris, um vor allem die Katakomben zu sehen, habe es dann zeitlich aber nicht geschafft. Allerdings war ich schon zwei Mal in Paris, deshalb habe ich mir dann alte Stadtpläne, Zeitungen und Zeichnungen von Häusern aufgehängt, als ich angefangen habe zu schreiben.

JM:
Charles Godin jagt lange Zeit hinter einer geheimnisvollen Karte hinterher, die am Ende dann aber etwas ins Abseits rückt. Hat sich hier die Geschichte verselbständigt und ist in eine Richtung gewandert, die ursprünglich nicht so angedacht war?

AL:
Charles Godin sagt seinem Sohn, dass jemand eine Karte gemacht hat, die so außergewöhnlich ist, dass niemand sonst etwas Derartiges erschaffen könnte. Die Karte ist also auch etwas Visionäres wie die Zeichnungen von da Vinci und sie war der Grund dafür, dass Charles Godin nach all den Jahren zu dem Kloster kommt und den Frieden stört. Aber am Ende ist die Karte nur eine von vielen in der geheimnisvollen Sammlung von Erfindungen von M. Bateaux. Wichtiger wird dann ja eine andere Zeichnung aus dieser Sammlung…

JM:
Gibt es Figuren im Buch, die sich in eine andere Richtung entwickelt haben, als Sie es ursprünglich wollten?

AL:

Ja, ich war sehr überrascht, dass Sebastiens Mutter und sein Bruder Jérôme am Ende erkennen, dass sie zu weit gegangen sind und sogar noch etwas Schlimmes verhindern. Das hat sich erst mitten in der Geschichte so ergeben.

JM:
Haben Sie einen Lieblingscharakter in 'Sternengreifer'? Oder gab es eine Figur, die Ihnen während des Schreibens auf der Nase herumgetanzt ist?

AL:
Ich mag sie alle sehr, weil sie alle das Gefühl haben, das Richtige zu tun - zumindest aus ihrer Perspektive. Aber besonders mag ich Milou, weil sie wie Benedict die Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht erfüllen will. Am liebsten hätte ich noch mehr davon erzählt, wie Giffard ihr hilft, sich nicht für ihren Wissensdurst zu schämen, sondern selbst zu denken und sich auszuprobieren. Aber dann wäre das Buch einfach zu dick geworden…

JM:
Im Buch kommen doch einige technische Elemente vor. Spricht es daher verstärkt Jungen an oder ist es für beide Geschlechter gleichermaßen geeignet?

AL:
In der Geschichte geht es ja vor allem um Träume. Ich denke, das ist ein Thema für Jungen und Mädchen. Deshalb gibt es in dem Buch Jungen und Mädchen, Männer und Frauen und die Situationen, in denen sie sich für oder gegen ihre Träume entscheiden. Die technischen Elemente tragen wie der Schauplatz zu der Stimmung der Geschichte bei und ich habe versucht, sie so zu beschreiben, dass sich niemand davon abgeschreckt fühlt, weil es zu kompliziert ist.
Ich bin selbst übrigens technisch sehr unbegabt und habe am Anfang erst einmal nur Kindersachbücher zu den Themen gelesen.

JM:
Gibt es eine Szene im Buch, die ihnen besonders viel Freude beim Schreiben bereitet hat?

AL:
Ja! Benedict muss trotz seiner Angst in dunklen engen Räumen durch die Katakomben von Paris fliehen und das hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Obwohl ich selbst leider noch nicht da unten war, konnte ich viele Bilder finden und sogar einen Bericht aus der Zeit, in der die Kanalisation neu gebaut wurde. Heinrich Heine war zu der Zeit nämlich in Paris und hat die Abwasserkanäle besichtigt und in seinem Buch Lutetia darüber geschrieben. Diebische Freude hatte ich auch dabei, in der Beschreibung die Andeutungen auf die Pariser Oper, den unkonventionellen Architekten mit seinen ausgetretenen Galoschen und das Phantom mit seinem See zu verstecken.

JM:
Gibt es einen speziellen Ort, an dem Ihre Geschichten entstehen?

AL:
Eigentlich nicht. Ideen kommen ja zu den verschiedensten Gelegenheiten und werden dann in Notizbücher, auf Kassenbons oder auch mal Bierdeckel gekritzelt. Wenn aus den Ideen dann Gerüste für Geschichten und die Schemen von Personen werden, brauche ich auf jeden Fall viel Papier oder ein dickes Notizbuch. Und beim Schreiben dann ein Laptop, aber das nehme ich auch gerne auf den Schoß, deshalb kann ich eigentlich überall schreiben.

JM:
Welche Bedeutung haben Bücher, hat das Lesen für Sie?

AL:
Ich habe schon als Kind wahnsinnig viel gelesen und bin jede Woche mit einem ganzen Fahrradkorb Bücher aus der Bibliothek gekommen. In unserem Haus gibt es eigentlich in jedem Zimmer Bücherregale (nur im Bad nicht). Ich lese alles Mögliche und meistens dann viele Bücher eines Genres. Ich hatte vor einigen Jahren eine Thrillerphase, dann habe ich viele Krimis gelesen. In den letzten Jahren vor allem Kinder- und Jugendbücher. Für mich oder beim Vorlesen für meine Kinder. Ich habe nur zwei Paar Schuhe, aber ich nehme mir jeden Monat vergeblich vor, mal keine Bücher zu kaufen. Es geht einfach nicht. Es gibt so viele tolle Geschichten und ich träume einfach so gerne…

JM:
Was waren die Kinderbuchhelden Ihrer Kindheit?

AL:
Ronja Räubertochter! Ich wollte so gerne durch den Wald ziehen und einen Frühlingsschrei erfinden! Aber auch Momo, Jim Knopf und die Figuren aus der unendlichen Geschichte.

JM:
Gibt es Vorbilder, die Ihre Arbeit beeinflussen?

AL:
Ich bewundere verschiedene Gaben bei verschiedenen Autorinnen und Autoren. Der eine hat so raffiniert verwobene Erzählstränge, die andere unglaublich berührende Figuren, und andere (wie zum Beispiel Cornelia Funke) lassen mit einer wunderbar bildhaften Sprache Welten und Figuren vor unseren Augen entstehen, in die wir uns einfach fallen lassen können. Das alles bewundere ich sehr und versuche, immer weiter zu lernen und zu beobachten.

JM:
Wie haben Sie zum Schreiben gefunden?

AL:
Ich denke, man kann sich das nicht aussuchen. Es passiert einfach. Zuerst ist da der Wunsch, alles aufzuschreiben und irgendwann dann das Bedürfnis, das Geschriebene zu polieren und zu schleifen. So war es jedenfalls bei mir. Wenn ich mal ein, zwei Wochen überhaupt nicht dazu komme, schreibend in meinen Geschichten abzutauchen, dann merke ich richtig, wie ich schlechte Laune bekomme und ungeduldiger werde mit dem Leben an sich. Es fehlt mir dann einfach.

JM:
Wird man zukünftig weitere Werke für Kinder und/oder Jugendliche von Ihnen lesen können?
Was sind Ihre nächsten Pläne und Projekte?

AL:
Ich habe den Text für ein Bilderbuch geschrieben, das „Erkläre mir die Taufe“ heißt und auch in diesem Frühjahr erschienen ist. Für diese Reihe, die religiöse Themen für kleine Kinder erklärt, habe ich einen weiteren Titel geschrieben, der im nächsten Jahr erscheint. Außerdem schreibe ich gerade an einem weiteren Jugendroman, der im Frühjahr 2016 erscheinen soll. In dieser Geschichte wird die Magie eine größere Rolle spielen und mit der Vergangenheit gehe ich dieses Mal auch etwas anders um: die habe ich nämlich nicht recherchiert, sondern einfach genau so erfunden, wie ich sie für die Geschichte brauche.

JM:
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg mit dem Roman und sind auch schon gespannt auf weitere Veröffentlichungen.

Antoinette Lühmann im Interview - Sternengreifer