Silvio Neuendorf im Interview
Beitrag von Janett Cernohuby | 24. Oktober 2016
Zehn Jahre ist es her, dass ein kleiner, rundlicher Pirat mit viel zu großer Jacke in See stach. Seither segelt er durch die Sieben Weltmeere, rettet dabei Tiere, hilft anderen Menschen und findet zahlreiche neue Freunde. Auf der Frankfurter Buchmesse 2016 signierte und illustrierte Sharky-Illustrator Silvio Neuendorf für seine kleinen und großen Fans und fand darüber hinaus auch Zeit, uns einige Fragen zu beantworten.
Janett Cernohuby
Seit zehn Jahren zeichnest du für die Kinderbuchreihe "Käpt'n Sharky". Erinnerst du dich noch an die Anfänge?
Silvio Neuendorf
Ja, daran erinnere ich mich noch. Autorin Jutta Langreuter und ich kannten uns schon vorher. Wir haben bei einem anderen Verlag ein Weihnachtsbuch zusammen gemacht, das uns beiden sehr gut gefiel. Auch danach blieben wir in Kontakt. 2006 sprach Coppenrath Jutta Langreuter an, ob sie eine Abenteuerfigur entwerfen könnte - man dachte bereits zu diesem Zeitpunkt an einen Piraten. Jutta fragte mich hier auf der Frankfurter Buchmesse, ob ich nicht Lust hätte, bei diesem Projekt mitzumachen. Ich hatte zuvor schon für Coppenrath andere Bücher illustriert. Jutta und ich sind als Team aufgetreten, ich habe erste Skizzen vorgelegt – und alle waren direkt begeistert. Sharky sah auch damals schon so aus wie heute. An ihm ist nichts verändert wurden.
Janett Cernohuby
Was war die größte Herausforderung dabei, die Figur des Sharky zu entwerfen?
Silvio Neuendorf
Schwer zu sagen. Nachdem ich den Text gelesen hatte, hatte ich ihn bereits vor Augen. Ich habe nicht groß herumprobiert. Er war für mich immer schon ein kleiner Dicker, dessen Jacke viel zu groß ist und der großkotzig herüberkommen muss, der aber auch unheimlich lieb und knuddelig ist - schließlich hat er ja auch seine Schmusedecke.
Janett Cernohuby
Käpt'n Sharky wird heuer 10 Jahre alt.
Silvio Neuendorf
Unglaublich.
Janett Cernohuby
Hast du dir anfangs vorstellen können, dass dieses Projekt dich über so lange Zeit beschäftigen wird?
Silvio Neuendorf
Nein. Überhaupt nicht. Klar, man hofft immer.
Es war toll zu sehen, wie erfolgreich Sharky von Anfang an war, wie viele Produkte es gab. Plötzlich kamen mir auf der Straße Kinder entgegen, die ein T-Shirt mit ihm anhatten; sie fuhren mit dem Fahrrad vorbei, an dem ein Wimpel mit Sharky-Logo dran war. Das überrollt einen, das plant man ja nicht. Normalerweise illustriert man ein Buch, das ist eins, zwei Jahre auf dem Markt, dann ist es wieder weg. Sharky lebt und lebt und lebt immer weiter. Das ist ein absoluter Glücksfall.
Janett Cernohuby
Von all den "Käpt'n Sharky" Bänden, gibt es einen Band, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sivio Neuendorf
Ja, man hat natürlich seine Vorlieben. Ich mag am liebsten „Käpt’n Sharky rettet den kleinen Wal“. Dieses sticht optisch ein bisschen aus der Reihe heraus, da man auch das Cover anders gestaltet hat. Es hat meine Farbwelt, mit dem vielen Blau und dem Polarmeer.
Ein anderer Lieblingsband ist das gerade neu entstehende, das im Frühjahr 2017 erschienen wird. Dieses spielt zum Großteil unter dem Wasser. Mir gefällt diese Welt mit all den kleinen Fischen, Anemonen, Algen - und den gruseligen Fischen in der Tiefsee. Das ist sehr schön.
Ich bin gespannt, da es auch neu konzipiert ist. Wir arbeiten erstmalig mit Ausklappseiten und Klappen. Auf dem Cover ist ein Leuchteffekt, schließlich geht es um die Tiefsee und dort gibt es ja Leuchtfische.
Es ist immer ein bisschen spannend, das fertige Buch in die Hände zu bekommen.
Janett Cernohuby
Für Käpt’n Sharky ist für 2017 ein Kinofilm geplant. Wie stehst du dem Projekt gegenüber?
Silvio Neuendorf
Toi, toi, toi.
Dieses Projekt hat sich über einen langen Zeitraum hingezogen und ist oft verschoben worden. Wir haben nicht so viele Inputs geliefert. Es gab anfangs Treffen mit den Machern, bei denen wir unsere Vorstellungen äußerten. Es wurde das meiste berücksichtigt, man muss aber auch Kompromisse eingehen, die in der Film- und Kinowelt auch so sein müssen. Wir müssen mit dem Film ein anderes Publikum ansprechen. Es muss etwas für ältere Kinder geben, für Jungen, Mädchen und für die ganze Familie. Auch eine neue Figur kommt hinzu, die in den Büchern nie eine Rolle gespielt hat.
Wir haben vor kurzem in München erste Ausschnitte gesehen. Es sah sehr schön, sehr professionell und es geht in die Richtung, die ich mir vorstelle.
Janett Cernohuby
Außer Käpt'n Sharky hast du an zahlreichen anderen Kinderbüchern gearbeitet. Gibt es darunter welche, die dich besonders bewegt haben?
Silvio Neuendorf
Ich mag ein Buch, dass leider gar nicht erfolgreich war. Es ist das Weihnachtsbuch, das ich mit Jutta Langreuter gemacht habe. Es ist eine sehr schöne Geschichte, die anders ist, als die meisten Weihnachtsgeschichten. Diese habe ich auch anders illustriert - erwachsener und experimenteller.
Daneben mag ich die Reihe „Blöde Ziege, dumme Gans“, die ich mit Isabell Abedi gemacht habe. Das war auch eine ganz tolle Geschichte.
Janett Cernohuby
Was macht den besonderen Reiz aus, Kinderbücher zu illustrieren? War dies schon immer dein Wunsch?
Sivio Neuendorf
Ich wollte immer zeichnen. In der Schule war ich zwar nicht der Kunstcrack, aber zeichnen konnte ich immer sehr gut. Später habe ich Grafikdesign studiert - der Studiengang, den man braucht, wenn man Illustrator werden möchte.
Kinderbuch ist letztendlich der einzige Bereich, in dem man kontinuierlich mit Illustrationen arbeiten und Geld verdienen kann. Im Erwachsenenbuch ist nicht mehr so viel Raum da, um viele Illustrationen machen zu können - obwohl das zwischendurch einmal reizvoll wäre.
Nach wie vor habe ich viel Spaß an meiner Arbeit - und auch daran, die Kinder immer wieder zu treffen und zu sehen, dass meine Illustrationen etwas bewirken.
Janett Cernohuby
Welche Rolle spielt das Alter der Zielgruppe bei Illustrationen?
Silvio Neuendorf
Man muss darauf achten, dass man nicht an der Zielgruppe vorbeiillustriert. Wenn ich ein Pappbilderbuch für Kleinkinder illustriere, gibt es andere Gesetzmäßigkeiten, als für Bilder im Erstlesebereich. Man muss die Zielgruppe im Auge behalten und darauf achten, dass man sie nicht überfordert. Es wäre vergebene Liebesmühe, wenn man nur für sich selbst illustriert. Schließlich ist das keine freie Kunst, sondern man möchte jemanden erreichen.
Janett Cernohuby
Welche Bedeutung haben Illustrationen, um Kindern den Zugang zu Büchern zu erleichtern?
Silvio Neuendorf
Eine sehr wichtige. Im Kleinkindalter sind es die ersten Berührungspunkte mit dem Medium Buch. Wenn Kinder - im günstigsten Fall - vernünftig an die Buchwelt herangeführt werden, werden sie zuerst Pappbilderbücher mit hohem Bildanteil bekommen. Der wird im Laufe der Zeit immer geringer, der Text wird mehr. Das was Kinder zunächst für sich selbst erfassen und erlesen ist ja erst einmal das Bild, bevor sie in der Schule in die Buchstabenwelt eintauchen. Da ist die Illustration sehr wichtig und dass man bei der Zielgruppe bleibt. Ich finde, es gibt ganz viele Bilderbücher die auch viele Preise bekommen, jedoch in Bezug auf die Bildsprache ausschließlich für Erwachsene illustriert wurden. Das ist in meinen Augen ein bisschen verfehlt.
Janett Cernohuby
Was ist das Schöne am Beruf des Kinderbuchillustrators?
Silvio Neuendorf
Das unwahrscheinlich Schöne ist zum einen, dass ich es einfach Zuhause machen kann. Zum anderen bewegt man sich in einem Berufsfeld, in einem Arbeitsumfeld, das ein Stück heile Welt widerspiegelt. Natürlich ist dies nicht so, denn auch hier gibt es Marktmechanismen die greifen und im Hintergrund kracht es genauso, wie in anderen Berufsgruppen. Aber das wird von uns Kreativen ein bisschen ferngehalten. Daher kommt es, dass man selbst diesen Beruf nicht als Arbeit einstuft.
Janett Cernohuby
Was zeichnest du am liebsten?
Silvio Neuendorf
Tiere. Abenteuer. Unter dem Meer. Über dem Meer. Also im Grunde alles, was bei Käpt’n Sharky eine Rolle spielt, zählt zu meinen absoluten Lieblingsthemen. Daher ist das ein absoluter Glücksfall.
Janett Cernohuby
Wie gehst du an die Gestaltung eines Bilderbuchs heran?
Silvio Neuendorf
Das kommt ein bisschen auf das Buch an. Beim „normalen“ Bilderbuch ist das immer der gleiche Ablauf. Ich bekomme den Text und kann dann schon einmal ein bisschen in die Welt eintauchen. Dann bekomme ich den Text irgendwann als Satzfahne, sprich der Text ist schon richtig auf die zwölf Doppelseiten verteilt, die ein Buch hat. Nun fange ich erst einmal an, ein bisschen zu recherchieren, mir Beispiele anzuschauen, zu bestimmten Themen oder Einzelheiten im Internet zu surfen. Anschließend mache ich - sehr wichtig - mein „Buchstoryboard“. Das ist eine A3-Seite, die ich in die zwölf Doppelseiten des Bilderbuchs aufteile. Darin skizziere ich die einzelnen Szenen grob vor. Anhand dieses Übersichtsblatts kann man sehr schnell heraussehen, ob ein Buch in seiner Abfolge funktioniert. Ob die Spannung ausreichend ist, es nicht zu langweilig wird und auch, dass die Perspektive nicht immer die gleiche ist. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um dann die großen Skizzen zu machen. Die kommen im Anschluss, werden an den Verlag geschickt, besprochen und eventuelle Änderungen eingearbeitet. Dann beginnt die Umsetzung und irgendwann schicke ich die Originale an den Verlag. Das ist alles noch Handarbeit und ohne Computer gezeichnet.
Janett Cernohuby
Wie viel Zeit musst du mit Stiften und Papier verbringen, bis eine Seite für ein Kinderbuch entstanden ist?
Silvio Neuendorf
Die Umsetzung - das kommt immer auf die Seite an. Wenn es sehr detailliert und wimmelig ist, kann es schon bis zu einer Woche dauern. In der Regel sind es zwei drei Tage.
Janett Cernohuby
Kinder sind die härtesten Kritiker. Was ist die besondere Herausforderung beim Illustrieren von Kinderbüchern?
Silvio Neuendorf
Ich habe Kinder nie als harte Kritiker empfunden. Ich habe schon oft vor Kindern gezeichnet, in Schulklassen, in Kindergärten oder in Bibliotheken, und habe dort ganz oft Begeisterung erlebt. Überraschend finde ich es, dass man auch Kinder erreichen kann, bei denen man anfangs das Gefühl hat, für sie ist es verschwendete Zeit. Die zunächst den Eindruck vermitteln „Jetzt muss ich hier meine Zeit absitzen, das ist doch sowieso alles blöd.“. Darauf darf man gar nicht eingehen, sondern einfach zeichnen. Irgendwann springt bei ihnen die Begeisterung über. Für mich ist es am schönsten von diesen Kindern dann zu hören „Ist ja cool, was du da machst“. Das ist toll. Dafür lohnt es sich auch einmal hinaus zu gehen und vor Kindern zu zeichnen. Kann ich jedem nur empfehlen.
Janett Cernohuby
Du wirst gleich hier am Stand zeichnen.
Silvio Neuendorf
Ja, ich werde gleich Zeichnungen machen und Bücher signieren.
Janett Cernohuby
Freust du dich schon auf deine kleinen Fans?
Silvio Neuendorf
Ja klar! Auf die freue ich mich immer.
Janett Cernohuby
Vielen Dank für deine Zeit und das Interview. Ich wünsche dir noch viel Spaß auf der Messe.