Calypsos Irrfahrt

Antolin Quiz
von Cornelia Franz
Rezension von Janett Cernohuby | 07. April 2021

Calypsos Irrfahrt

Seine Heimfahrt von Troja nach Ithaka sollte für Odysseus zu einer langen Irrfahrt werden. Viele Hindernisse hielten ihn auf, stellten ihn vor Herausforderungen, bis er schließlich Jahre später endlich den richtigen Weg fand. Auch auf Oscar und seine Eltern wartet eine lange Schiffsfahrt, bei der sie viele Häfen erfolglos anfahren. Doch der Grund ist nicht etwa, weil sie die Götter verärgert haben, sondern Hilfe leisteten.

Ein Segeltörn mit Folgen

Oscar ist gelangweilt. Seit drei Tagen kreuzt er mit seinen Eltern auf dem Mittelmeer, vier Wochen sollen es insgesamt werden. Doch schon jetzt, nach so kurzer Zeit, ist ihm furchtbar langweilig. Doch dann sieht er zwei erschöpfte Kinder in einem Rettungsring auf dem Wasser treiben. Schnell fischen seine Eltern sie aus dem Wasser. Nala und ihr kleiner Bruder Moh sind aus einem Flüchtlingsboot gefallen und waren bereits völlig entkräftet und kurz vor dem Ertrinken. Doch was nun? Oscars Eltern fahren zur ans griechisches Festland, doch hier will man die Flüchtlinge nicht aufnehmen. So beginnt eine Odyssee durchs Mittelmeer, von Insel zu Insel. Nirgends ist Platz für die beiden Kinder, keiner will mehr weitere Flüchtlinge haben. In einer letzten Verzweiflung steuern die Eltern die italienische Küste an. Während dieser langen Fahrt freundet sich Oscar mit Nala und Moh an. Die beiden Kinder beginnen, die deutsche Sprache zu lernen, werden zu einem Teil der Familie. Bald schon kann sich Oscar gar nicht mehr vorstellen, die beiden einfach in einem Flüchtlingslager zurückzulassen. Doch einfach mit nach Deutschland nehmen können sie die Kinder auch nicht…

Erschütternd und nachdenklich

Was als langweilige Urlaubsreise beginnt, entwickelt sich nicht nur für Oscar schnell zu einem ungewöhnlichen und auch nervenaufreibenden Ferienerlebnis. Cornelia Franz präsentiert uns hier eine Geschichte, die leider immer noch topaktuell ist. Die uns fesselt, uns erschüttert und uns nachdenklich stimmt. Plötzlich ist das nicht mehr nur ein Artikel aus der Zeitung, der über eine Hilfsorganisation berichtet, die Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettet. Plötzlich ist das eine ganz normale Familie, die nur Urlaub machen will und mit einem Mal als Lebensretter dasteht. Man selbst könnte Teil dieser Familie sein. Wie würde man sich verhalten? Was würde in einem vorgehen? Während an diesem Punkt das Abenteuer, die Dramatik und die Gefahr eigentlich vorbei sein sollten, beginnt sie für die Flüchtlingskinder und Oscars Familie erst. Denn nun versuchen sie verzweifelt, die Kinder an einen sicheren Ort zu bringen. Doch genau wie in den Zeitungsberichten stoßen auch sie nur auf Ablehnung und böse Blicke. Nirgends will man mehr Flüchtlinge haben, überall ist man überfüllt und überfordert.
Doch während sich auf der einen Seite dieses Drama abspielt, passiert gleichzeitig auch etwas Gutes. Oscar und seine Familie nimmt sich der beiden Kinder an, integriert sie in ihren Familienbund. Nala und Moh erfahren endlich wieder Geborgenheit, Sicherheit und Schutz. Obwohl sie überall abgelehnt werden, sind sie in der Familie willkommen. Auch wenn letztendlich der Urlaub ins Wasser fällt und von Erholung zu einer Irrfahrt von Hafen zu Hafen wird, hadert keiner der drei Urlauber damit. Für sie gibt es nur eines: Die Flüchtlingskinder in Sicherheit bringen, sie gut versorgt zu wissen. Ein Verhalten, das man sich von Politkern wünschen würde.
Während der Großteil der Geschichte unglaublich fesselnd und dramatisch erzählt wird, wirkt der Schluss zu positiv und zu leicht dargestellt. Alles geht zu glatt, zu einfach, zu unbeschwert. Klar ist es ein gutes Ende, mit dem die jungen Leserinnen und Leser beruhigt das Buch zuschlagen können, doch es ist zu schnell und unglaubwürdig abgehandelt. Etwas mehr Realismus und auch Mut zur nicht immer schönen Wirklichkeit wären besser gewesen. Der jungen Leserschaft kann man das durchaus zutrauen.

„Calypsos Irrfahrt“ ist ein fesselnder und erschütternder Roman. Er greift das nach wie vor aktuelle Flüchtlingsthema auf, zeigt Menschlichkeit, aber auch menschliche Härte und Ablehnung. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken und darüber sprechen anregt. Hätte man dann noch den Mut gehabt, das Ende realistischer, wenngleich weniger glücklich zu gestalten, dann wäre das Leseerlebnis perfekt.

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