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Gundi Herget gewährt uns Einsicht in ihre Arbeit als Kinderbuchautorin

"Tiere eignen sich wunderbar als Identifikationsfiguren."

Beitrag von Janett Cernohuby | 10. September 2021

In Bilderbüchern erleben Kinder viele Abenteuer und lustige Begebenheiten, können aber auch anhand der Erzählungen Alltägliches verarbeiten. Egal ob Töpfchentraining, Abschied vom Schnuller und die Verarbeitung von Gefühlen, viele Eltern greifen regelmäßig zu Bilderbüchern mit Alltagsthemen. Auch Geschichten rund ums Schlafengehen und über Abendrituale zählen dazu. Gundi Herget hat eine ganz liebevoll und charmante Geschichte über ein kleines Äffchen erzählt, das Schlafgewohnheiten auf den Grund geht.

Liebe Gundi, erzähl doch mal, worum genau geht es in deinem Bilderbuch?

Gundi HergetUm das Nachtäffchen-Mädchen Notte, das herausfinden will, wie die Menschen schlafen. Die sind ja nur tagsüber und in wachem Zustand im Zoo. Und Affenkind Notte ist einem Menschenkind, das unbedingt etwas über die Welt erfahren will, sehr ähnlich: neugierig, wissbegierig, hartnäckig. Also hüpft es mutig nachts durch den Zoo und von Tier zu Tier, wo es allerhand über alle möglichen Schlafgewohnheiten erfährt, bloß nicht über die der Menschen. Bis die Giraffe einen entscheidenden Tipp hat. Wie die Menschen schlafen, das ist aber ganz schön sonderbar, jedenfalls aus Nachtäffchensicht.

Warum hast du dich für das Thema Schlafenszeit entschieden?

Es war so, dass der Verlag gern eine Einschlafgeschichte machen wollte, und mir ist dann einfach diese eingefallen.

Warum erzählst du die Geschichte mit tierischen Figuren und nicht mit Menschenkindern. Wäre das nicht näher an Kindern dran?

Gar nicht! Gerade Tiere eignen sich wunderbar als Identifikationsfiguren. Fabeln nützen das ja schon seit Jahrhunderten. Auch in Kinderbüchern werden Tiere sehr oft anthropomorphisiert, also mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Das heißt, sie werden uns Menschen ähnlich, gleichzeitig sind sie uns genau ausreichend unähnlich, dass das, was sie erleben, besonders interessant ist und uns einen neuen Aspekt über die Welt zeigt. Und durch den größeren inneren Abstand zum Tier lernen wir, wie wir zum Beispiel ein Problem oder einen Konflikt lösen, mit Gefühlen umgehen können, all sowas. Weil wir durch die Tierfigur so gut von außen draufschauen können.

Und ein anderer Aspekt spielt, denke ich, auch noch eine Rolle. Zum Herrlichsten am Kindsein gehört doch, dass ich mich so verbunden fühle mit allem. Mit echten Lebewesen sowieso, also mit Tieren, Blumen, dem Baum im Garten, aber auch mit dem eigentlich Unbelebten: Stofftiere und Spielfiguren haben einen eigenen Charakter und führen ein Eigenleben, und sogar ein kleiner, besonderer Stein kann mit mir auf diese einzigartige, geheimnisvolle Kinderweise in Verbindung sein. Womit ich mich verbunden fühle, daran nehme ich Anteil. Tiere eignen sich besonders gut, ich kenne kein Kind, das nicht von Tieren angezogen wird.

Wie es sich für ein Bilderbuch gehört, wird auch diese Geschichte von stimmungsvollen Illustrationen begleitet. Wie verlief die Zusammenarbeit mit Laura Bednarski?

Also, die Zusammenarbeit lief in diesem Fall ausschließlich über den Verlag, Laura und ich kennen uns noch gar nicht persönlich. Tatsächlich hatte das Projekt einen etwas rumpeligen Start, weil sich gleich zu Beginn herausgestellt hat, dass meine Ursprungsidee und ihr Illustrationsstil nicht so kompatibel waren, da brauchten wir eine andere Lösung. Die haben wir auch gefunden und sie funktioniert ganz wunderbar.

Warum ist es wichtig, Kindern Geschichten über das Schlafengehen und Abendrituale zu erzählen?

Naja, die meisten Kinder wollen ja nicht genau dann ins Bett, wenn die Erwachsenen wollen, dass sie ins Bett sollen. Wach sein ist doch so spannend, ins Bett gehen aber überhaupt nicht. Da verpasst man ja alles! Und dann sollen sie auch noch allein einschlafen! Das ist sowieso ganz blöd! Und geht ja gar nicht, weil es nämlich gefährlich ist, wegen den Monstern und so. Aus evolutionärer Sicht haben kleine Kinder damit ganz recht, denn wir lebten ja nicht immer in gut beheizten Häusern mit dicken Wänden und fest verschließbaren Türen und Fenstern. Nachts allein zu bleiben war ganz früher richtig gefährlich, da konnte einen schnell mal der Säbelzahntiger holen.
Ich habe vor einigen Jahren mal eine Woche im Amazonasdschungel bei einer indigenen Großfamilie verbracht. Sie lebten weitgehend draußen, in und mit der Natur, und nachts schliefen alle gemeinsam im einzigen Raum einer großen Holzhütte auf Stelzen. Völlig logisch, oder? Viel weniger gefährlich für jeden einzelnen. Dass Schlafen bei uns, in unseren sicheren, säbelzahntigerfreien Häusern nicht gefährlich ist, weiß das kleine Kind nicht und fühlt es auch nicht. Es liebevoll beim Einschlafen zu begleiten, damit es sich sicher und geborgen fühlt, ist also ganz natürlich und notwendig. Und was könnte besser geeignet sein, als wiederkehrende Rituale, die diese Sicherheit geben? Und Geschichten, die zur Identifikation mit jemandem einladen, der auch gerade schlafen geht und dabei sicher und geborgen ist.

Fällt es dir leicht, dich in die Gefühls- und Gedankenwelt von Kindern hineinzuversetzen?

Total. Ich weiß auch noch genau, wie sich das Leben mit vier oder sieben oder zehn Jahren angefühlt hat. Beim Spielen, beim Klingelstreiche machen und schnell wegrennen, beim Baumklettern und dabei klebrige, waldbitter duftende Harzfinger bekommen, wie es sich anfühlt, sich das Knie aufzuschlagen, die Schnellste im Laufen zu sein oder nach einem Umzug als Neue in die zweite Klasse zu kommen, wo alle anderen sich schon kennen…

Bernhard Galler Foto Gundi Herget
Foto: Bernhard Galler

Worin besteht die größte Herausforderung beim Schreiben von Bilderbuchgeschichten?

Ich mag es gern, wenn Geschichten eine witzige Pointe haben oder eine überraschende Wendung nehmen. Dass einem sowas einfällt, lässt sich aber nicht erzwingen, also heißt es Geduld haben, bis die Lösung, zack!, plötzlich da ist, weil Geschichten ja immer in einem weiterarbeiten, auch wenn man gerade gar nicht dransitzt. Die Herausforderung ist für mich, auszuhalten, dass die Geschichte nicht tut, was ich will, bloß weil mir das gerade in den Kram passt, sondern dass sie mir ihre schönste Lösung nur verrät, wenn ich sie loslasse und sie ihr Eigenleben führen darf.

Die zweite Herausforderung hat eher mit den äußeren Umständen zu tun: ich finde es manchmal herausfordernd, trotz der schwierigen Bedingungen auf dem Buchmarkt motiviert und inspiriert zu bleiben und dem Gedanken nicht nachzugeben, ach, was soll’s, lass ich’s halt bleiben und mach was anderes. Zum Beispiel, wenn mal wieder ein Buch nach der ersten Auflage sang- und klanglos wieder vom Markt verschwindet, obwohl es eigentlich super Rezensionen hatte. Weil es in der schieren Masse an Neuerscheinungen einfach untergegangen ist.

Ich merke gerade, das Ganze hat auch wieder mit loslassen zu tun. Und mit Vertrauen haben, dass die eigenen Bücher schon ihren Platz finden werden auf diesem übersättigten, umkämpften, durchkommerzialisierten Markt.

Was ist dir wichtig, worauf achtest du besonders, wenn du für Kinder schreibst?

Darauf, dass die Geschichte rund und stimmig ist und eine gelungene Pointe hat. Und ich achte sehr auf die Sprache: dass sie einen guten Rhythmus hat zum Beispiel. Ich mag Wortwitz und knackige Dialoge. Und ich achte darauf, möglichst eine zweite Ebene einzuziehen, die sich eher an die Erwachsenen als Vorleser richtet. Damit auch die Erwachsenen möglichst viel Spaß an der Geschichte haben, das spüren dann ja auch wieder die Kinder. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind, das noch nicht lesen konnte, bei manchen Geschichten gemerkt habe, da steckt noch viel mehr drin, ich verstehe nur noch nicht alles. Das fand ich sehr verheißungsvoll. Außerdem wünsche ich mir, dass Kinder irgendwie spüren, dass die Geschichte von jemandem geschrieben wurde, der ihr bedingungsloser Verbündeter ist.

Gibt es ein Thema, über das du gerne einmal schreiben würdest, es bisher aber noch nicht getan hast?

Über Kinder aus suchtbelasteten Familien. Viele Leute haben da so Vorstellungen vom Obdachlosen unter der Brücke, vom Bahnhofselend, von äußerer Verwahrlosung. Die sind natürlich nicht ganz falsch, aber viel zu einseitig. Alkoholismus ist mit Abstand die häufigste Suchterkrankung und kommt wirklich überall vor, im Villenviertel genauso wie im Hochhausblock, im Akademikerhaushalt und in der Lehrerfamilie genauso wie in der Arbeiterfamilie… Das muss man sich mal vorstellen: zweieinhalb Millionen Kinder und Jugendliche wachsen allein in Deutschland mit einem alkoholabhängigen Elternteil auf. Das hat so viele Auswirkungen, auch psychische und emotionale. Diese Kinder brauchen Verständnis, Trost und Hilfe und ich würde da gern mal ein Buch beisteuern, das so einem betroffenen Kind das Gefühl gibt, dass es gemeint ist und in seiner Not gesehen wird.

Wie bist du zum Schreiben gekommen? Warum Kinderbücher?

Über meinen Sohn. Als der ins Kindergartenalter kam, habe ich mich in einen Geschichtenautomat auf zwei Beinen verwandelt. Er wollte einfach ständig welche hören, und dann hieß es also zum Beispiel plötzlich, Mama, erzähl die Geschichte von dem Traktor und der Maus, erzähl die Geschichte von dem roten Auto. Also habe ich draufloserzählt, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Manchmal landeten wir in Sackgassen, manchmal wurde die Geschichte aber auch richtig gut, dann wollte mein Kind sie immer wieder hören. Aus einer davon wurde später Mozart & Robinson.

Gibt es Autor*innen oder Bücher, die dich auf deinem Weg als Autorin beeinflusst haben?

Auf jeden Fall! Spontan könnte ich allerdings nicht sagen, welche das vor allem waren, weil ich immer sehr, sehr viel gelesen habe. Jedenfalls lese ich auch heute noch sehr gerne Kinderbücher. Mal überlegen, welche Autoren ich besonders mag… Roald Dahl gehört auf jeden Fall dazu, Christine Nöstlinger, Ottfried Preußler, Kirsten Boie. Herr der Ringe und Harry Potter. Urmel aus dem Eis hat die lustigsten Dialoge, die man sich vorstellen kann. Marlen Haushofer hat ein großartiges Erwachsenenbuch konsequent aus Kindersicht geschrieben: Himmel, der nirgendwo endet. Oder das Sams, das ist auch sehr toll. Pumuckl hatte sicher einen Einfluss, der begleitet mich ja schon, seit ich drei Jahre alt war.

An welchen Projekten arbeitest du derzeit? Darfst du uns schon etwas darüber verraten?

An einem Kinderroman, für den es aber noch keinen Verlag gibt. Und im Herbst erscheint eine Bilderbuchgeschichte von mir in der Kinderzeitschrift Gecko.

Liebe Gundi, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast.

 

Und wie schläfst du so?Und wie schläfst du so?

32 Seiten
Magellan Verlag, Januar 2021
ISBN: 978-3-7348-2067-0

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