Lina Frisch spricht über ihr Debüt

"Meine Hoffnung ist es, dass über meine Bücher vielleicht mehr Frauen und Männer dazu inspiriert werden, sich für Frauenrechte zu interessieren."

Beitrag von Janett Cernohuby | 05. November 2022

Gefühle spielen für das menschliche Leben eine große Rolle. Auch in der Reihe „Falling Skye“ von Lina Frisch sind Gefühle wichtig, denn sie sind zumindest offiziell unerwünscht. Die Romanreihe handelt von einer Gesellschaft, in der sich „Rationale“ für Spitzenämter qualifizieren können, während „Emotionale“ die Rolle der Hilfskräfte einnehmen. Zwischen diesen beiden Welten bewegt sich Skye, die sich als Spielball eines unbarmherzigen Systems wiederfindet.


Lina Frisch auf der Frankfurter BuchmesseHallo Lina. Deine Reihe „Falling Skye“ beschäftigt sich auf den ersten Blick betrachtet mit Gefühlen und ihren Auswirkungen auf das Handeln. Tatsächlich hat diese Betrachtung aber mehr Tiefgang. Denn im Roman wird zwischen Männern und Frauen mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Hast du dies aus der heutigen Realität abgeleitet?
Schon. Hinter dem ganzen Konzept steht ja der Geheimplan der Regierung, die Traits unter einem bestimmten Vorwand in die Bevölkerung zu bringen. Der ReNatura-Plan am Ende ist der, dass Frauen als emotionaler eingestuft werden und Männer als rationaler. Damit geht einher, dass Männer lukrativere Berufe bekommen und im Prinzip die Handlungsmacht der Gesellschaft sind. Das ist teilweise meiner düsteren Zukunftsvision entsprungen. Als ich das Buch geschrieben habe, fußte es hauptsächlich noch auf dem Wahlprogramm der AfD. Sieht man sich dieses an, besonders die Vorstellung hinsichtlich der Emanzipation der Frau in der Gesellschaft, dann ist das ein sehr rückständiges Bild. Deren Wunsch geht dahin, dass die Frau Hausfrau ist, während der Mann arbeiten geht. Ende.
Diese Entwicklung bekommt im Moment wieder Aufschwung, vor allem wenn man nach Amerika und auf das dortige Abtreibungsverbot schaut. Es wird immer stärker in die Freiheit der Frauen und in die Selbstbestimmung über ihren Körper eingegriffen. „Falling Skye“ und „Rising Skye“ sollen einen Worst Case zeigen und was unserer Gesellschaft schlimmstenfalls passieren kann. Vor allen Dingen auch, wie früh man dagegen aufstehen muss. Es reicht nicht gegen ein System aufzustehen, wenn dieses System schon etabliert ist. Man muss während der Anfänge schon dagegenstimmen.

Bist du der Meinung, dass bei Männer Emotionen eher positiv behaftet sind, während sie bei Frauen negativ vorbelastet sind?
Ich glaube, dass eine emotionale Frau sehr stark bewertet wird. Es ist für beide Geschlechter an sich eine negative Sache. Als Frauen gilt man schnell als hysterisch. Gerade Politikerinnen müssen wahnsinnig darauf achten, dass sie einen ruhigen Ton anschlagen. Da wird Frauen einfach schnell abgesprochen, dass sie klar denken und rational sein können. Man meint, Frauen wären zu gefühlvoll, was überhaupt nicht der Fall ist.
Dieses ganze Narrativ, Frauen sind die Gefühlvollen, Männer sind die Harten, die keine Gefühle haben, ist für beide Geschlechter ein Problem. Frauen wird die Kompetenz abgesprochen, aber Männer leiden auch unter der Erwartungshaltung, keine Gefühle zeigen zu dürfen. Männer müssen alleine damit zurechtkommen und das führt im schlimmsten Fall zu einer ganz hohen männlichen Suizidrate. Das kommt daher, dass bei Männern beispielsweise Depressionen weniger behandelt werden, da Männer sich seltener Hilfe suchen. Frauen sind es gewohnt, über Gefühle zu sprechen. Männern wurde das abtrainiert. Wir alle kennen noch den Ausspruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. So wird das von Kindheit an gemacht. Es gibt eine ganz spannende Studie, nach der gemessen wurde, wie häufig Mütter Gefühlswörter in Gesprächen mit Mädchen oder mit Jungen benutzen. Es ist bei Mädchen signifikant höher. Frauen sind von Anfang an breiter aufgestellt. Wir wissen uns auszudrücken. Wir wissen, was wir fühlen. Männer sind davon viel stärker abgeschirmt. Und deshalb ist es für beide Geschlechter sinnvoll, dagegen zu arbeiten. Frauen sind auch rational und können auch kompetent führen, ebenso dürfen Männer auch Gefühle haben.

Grundsätzlich klingt eine Welt ja nicht schlecht, in der man Menschen, die Situationen überwiegend rational betrachten, als Entscheidungsträger auswählen würde. Siehst du dich selbst eher als rational oder als emotional?
Schwierige Frage. Ich würde sagen, eine Mischung aus beidem. Am Ende des Buches - wenn ich spoilern darf - ist es eben tatsächlich nicht klar einschätzbar. Es hat jeder beides in sich und das ist auch wichtig. Klar überwiegt mal der eine oder mal der andere Teil. Ich glaube, bei mir dann fast eher der Emotionale.

Bist du der Meinung, dass man in der aktuellen Situation – Pandemie, Klimakatastrophe, Krieg in der Nachbarschaft, Wahlen – zu wenig Entscheidungen auf rationaler Ebene trifft?
Es ist tatsächlich so, dass das Buch eine mögliche Zukunft fünf Jahre nach der Regierung Trumps zeigt. Als ich das Buch geschrieben habe, war Trump gerade noch aktuelles Thema. Mir kam die Idee, wie schön es wäre, wenn nur rationale Menschen Politiker wären. Wir haben an Donald Trump alle gesehen, was passiert, wenn dem nicht so ist. Dass das zu einem ganz großen Desaster wird. Aktuell sehen wir es an Putin auch wieder. Vielleicht wäre es sinnvoll wenn die Menschen, die die Entscheidung treffen, eine bestimmte Art Test absolvieren müssten. Mein Buch zeigt eben auch eindrücklich, wie schief das laufen kann. Ich glaub, man muss bei allem, das in Richtung einer Diktatur laufen könnte, ganz stark aufpassen, dass das Handeln wirklich noch den Menschen dient und nicht anders rum.

Informationen sind essenziell für Wissensaufbau und auch für die Beurteilung einer Gesamtsituation. In „Rising Skye“ gibt es eine Information über ihren Freund Hunter, die der Protagonistin über weite Strecken nicht bekannt ist. War es schwierig, diese Situation aufrecht zu erhalten?
Ja, ganz schwierig. Vor allem, da die beiden eine Beziehung haben. Für mich ist Vertrauen die Basis einer romantischen Beziehung. Da ich das über die Länge des Buches nicht haben konnte, musste ich die Beziehung immer ein bisschen an der Oberfläche lassen. Da war es natürlich auch schwer, der romantischen Geschichte einen bestimmten Tiefgang zu verleihen. Zwischendurch hatte ich schon den Wunsch, dass beide alles wissen und dieses Wissen zum Ende hin zusammentragen. Aber da muss man natürlich Abstriche für die Spannung machen, die die Lesenden haben wollen.

Der Zweiteiler über Skye ist während der Pandemie erschienen. In einer Zeit ohne Buchmessen und ohne Kontakt zu den Lesenden. Wie war das für dich, ohne direktes Feedback?
Das war ganz schwierig. Ich hatte tatsächlich erst kurz vor meiner Veröffentlichung einen Instagram-Account angelegt. Ich hatte gar keine Ahnung von dieser riesengroßen Online-Szene der Buchblogger*innen und bin da ein bisschen reingestolpert. Es war toll, über Bookstagram verfolgen zu können, wie die Leserschaft das Buch aufnimmt. Ich habe ganz viele tolle Rückmeldungen bekommen und auch Kontakte knüpfen dürfen. Das war alles wunderbar und das hat mich auch sehr durch die für uns alle schwierige Zeit der Lockdowns gebracht. Aber natürlich hätte ich mir für das Buch und auch für mich als Debütautorin etwas anderes gewünscht und wäre gerne auf Lesungen gegangen und hätte das Buch live präsentiert. Jetzt bin ich umso glücklicher, dass es wieder möglich ist.

Nun ist die Geschichte von Skye zu Ende erzählt. Was schreibst du sonst, wenn du gerade keine Ausflüge in die Phantastik übernimmst?
Mein nächstes Buch kommt im März 2023 bei Knaur Fantasy raus. Es wird wieder ein Fantasyroman, ich bin der Phantastik treu geblieben. Aber sonst schreibe ich auch reale Geschichten, Literatur - es zieht sich querbeet durch.

Gibt es Anliegen, die du als Autorin gerne ansprechen würdest und deshalb zu Themen deiner Romane machst?
Durch alle meine Buchideen und Bücher zieht sich ein bisschen der Feminismusgedanke. Das ist einfach etwas, das mich persönlich sehr beschäftigt. Wenn man als junge Frau in der aktuellen Welt aufwächst, kann man meiner Meinung nach eigentlich nur Feministin sein. Ich habe das Gefühl, dass junge Menschen schon sehr stark für die Frauenrechte einstehen müssen. Meine Hoffnung ist es, dass über meine Bücher vielleicht mehr Frauen und Männer dazu inspiriert werden, sich für Frauenrechte zu interessieren. Da läuft viel im Verborgenen ab. Das ist nicht immer in den Nachrichten. Es ist mir einfach wichtig, dass es keine schleichende Rückentwicklung gibt, sondern dass wir zumindest nichts verlieren, denn die Gleichberechtigung ist ja immer noch nicht vollständig da. Dass wir das Level, das wir haben, halten, wenn möglich noch mehr in eine Richtung in einer gleichberechtigten Welt gehen.

Wenn du jetzt den Freibrief für einen Roman bekämst, den du umsetzen dürftest, egal was du schreiben willst. Was würdest du für ein Werk schreiben und wie würde es heißen?
Ach, das ist ganz schwierig. Ich habe so ein paar Ideen im Lauf. Meine Geschichten haben einfach immer mit starken Frauenfiguren, mit starken Heldinnen zu tun. Dabei muss für mich nicht immer die romantische Liebesgeschichte im Fokus stehen. Ich finde es schön, wenn Bücher auch ohne eine große Liebesgeschichte funktionieren. Gerade wenn Frauen involviert sind, ist das oft so. Ich möchte, dass die Frauenfiguren auch alleine stehen können. Alleine eine Handlung tragen können. Vielleicht auch Frauen in verschiedenen Lebenslagen zeigen. Wie auch in meinem jetzigen Buch, ist es ja häufig, die junge 16-jährige Protagonistin und nur selten die 40-jährige Mutter, die die Welt rettet. Vielleicht wäre das auch mal spannend zu lesen.

Was sind deine aktuellen literarischen Pläne?
Ganz aktuelle arbeite ich an einem Buch, das nächsten März bei Knaur Fantasy unter dem Titel „We will give you Hell“ erscheint. Da wird es hauptsächlich um das Thema weibliche Wut gehen. Das ist für mich auch ein sehr spannendes Thema, da Frauen einfach einen anderen Umgang mit Wut haben, als Männer. Das ist ein sehr unterdrücktes Gefühl. Das wird eine phantastische Aufarbeitung des Themas. Weibliche Wut als Kraft.

Liebe Lina, ich wünsche dir ganz viel Erfolg mit dem neuen Buch. Vielen Dank, dass du dir hier auf der Frankfurter Buchmesse die Zeit für ein Interview genommen hast.

Falling Skye (1)
gebunden, 464 Seiten
Coppenrath, Januar 2020
ISBN: 978-3-649-63344-0
Rising Skye (2)
gebunden, 496 Seiten
Coppenrath, Oktober 2020
ISBN: 978-3-649-63366-2

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