Wozu wir fähig sind

Antolin Quiz
von Laila El Omari
Rezension von Janett Cernohuby | 13. Juli 2020

Wozu wir fähig sind

Zu Unrecht verurteilt, eingesperrt im Château d'If, gelingt dem jungen Edmond Dantes die Flucht von der Gefängnisinsel. Ein Schatz verhilft ihm nicht nur zu Reichtum, sondern auch zu einer späten Rache an jenen, die ihn einst wegsperren ließen. Noch heute gilt „Der Graf von Monte Cristo“ als einer der berühmtesten Werke Alexandre Dumas‘, der unzählige Male verfilmt wurde. Nun griff Laila El Omari Motive und Figuren jener tragischen Geschichte auf, verfrachtete sie in die Gegenwart, gab ihnen neue Namen und eine neue Geschichte und schuf damit einen fesselnden Jugendroman.

Rache ist ein Gericht, das Jahre später serviert wird

Alexander ist neu auf dem Campus, doch seine faszinierende Ausstrahlung lässt ihn sofort in der Clique von Patrick und Alina Anschluss finden. Er gewinnt ihre Freundschaft, ihr Vertrauen, doch gleichzeitig spielt er ein grausames Spiel. Zuerst ist es Robin, der Alexanders scheinbarer Skrupellosigkeit zum Opfer fällt. Doch bald schon erkennt auch Alina, dass mit Alexander etwas nicht stimmt. Doch bevor ihr und den anderen klar wird was, hat der sein Netz aus Intrigen ausgeworfen und alle in den Abgrund gerissen.

Der Graf von Monte Cristo ist zurück

Oft werden in der Literatur neue Werke mit großen Klassikern verglichen. Da gibt es einen neuen Tolkien, dort ein neues Bullerbü. Bisweilen mag das nervig erscheinen und den gegenwärtigen Autoren und Autorinnen Unrecht tun. Doch wenn wir hier von einem modernen „Grafen von Monte Cristo“ sprechen, dann kann man das durchaus wortwörtlich nehmen. Denn es sind nicht nur ein paar Motive, die Autorin Laila El Omari aufgegriffen hat, sondern sehr viele. So beginnt der Roman mit einer Episode, mit einer Schauergeschichte, die auch Edmond Dantes im späten Romanverlauf ähnlich bei einem gesellschaftlichen Treffen zum Besten gibt. In beiden Romanen haben wir den zu Unrecht verurteilten jungen Mann, der sich später rächt. Dessen Vater vereinsamt starb. Wir haben die geheimnisvolle Begleiterin des Racheengels, mit ebenfalls tragischer Vergangenheit. Wir haben den Staatsanwalt, der für seine Karriere über Leichen geht. Wir haben den Vater, der seinen Sohn aufgrund seiner Tätigkeiten in eine kompromittierende Situation bringt. Wir haben eine Tochter, die sich nicht mit der Stiefmutter versteht und deren Großvater sich nach einem Schlaganfall nur noch über Blinzeln verständigen kann. Wir haben die böse Stiefmutter, die ihre Stieftochter zwar nicht vergiftet, aber auf andere Weise in Lebensgefahr bringt. Wir haben den Geschäftsmann, der kurz vor dem Bankrott steht und dann von geheimnisvoller Seite finanziell unterstützt wird. Wir haben den Finanzspekulanten, der alles verspekuliert. Es gibt das lebendig begrabene Baby, ebenso den Selbstmord aus Verzweiflung, den Verrat an Schutzbefohlenen - und auch die späte moralische Frage, in der Rache zu weit gegangen zu sein.

Man sieht, der Jugendroman von Laila El Omari weist unglaublich viele Parallelen zu Dumas‘ Klassiker auf, begonnen bei den Hintergrundgeschichten, den Beweggründen bis hin zum Beziehungsgeflecht der Handlungsfiguren, ja sogar die Figur des Maximilian Morell trägt den gleichen Vornamen. Was jedoch anders ist, ist die Erzählweise. Während wir bei Dumas‘ den jungen Dantes und seine Leidensjahre ausführlich begleiten, ist das hier nicht der Fall. Hier wird man quasi in das hier und heute hineingeworfen, als der geheimnisvolle Alexander auf dem Campus auftaucht. Damit beginnt die Geschichte zunächst recht geheimnisvoll. Was sind seine Beweggründe, was sind seine Ziele? Man bekommt hier und da Andeutungen, dass etwas vorgefallen ist. Kurze Rückblicke in die „Zeit davor“ lassen eine Richtung erahnen. Dennoch muss der Leser die eingebrachten Fragmente Stück für Stück zusammensetzen, um am Ende das große Ganze zu verstehen. Das macht den ersten Teil des Buchs zwar geheimnisvoll, gleichzeitig aber auch schwer zu lesen. Man muss sehr konzentriert sein, da die Fülle an Personen zu Verwirrungen führen kann. Dafür wird der zweite Teil umso rasanter. Plötzlich fügen sich einzelne Stränge zusammen und man hat kaum Zeit, alles auf sich wirken zu lassen.  
Am Ende der Geschichte steht dennoch die gleiche Frage, wie einst bei Dumas‘: Wie weit darf Rache gehen? Was ist richtig, was ist falsch? Was wäre wenn und wie wäre alles verlaufen, wenn einzelne Personen anders gehandelt hätten? Genau wie einst Dantes, erkennt auch der Racheengel von El Omari, dass er in seiner Rache zu weit gegangen ist und versucht - zumindest bei einer der Personen - Schadensbegrenzung.

„Wozu wir fähig ist“ ist in der Tat eine moderne Form des Klassikers „Der Graf von Monte Cristo“. Wenngleich wesentlich kompakter erzählt, aber dennoch mit einer Menge an Handlungsfiguren, kleinen Geschichten, die miteinander verflochten und verwoben sind,  geht es auch hier um Rache und die Frage, wie weit man dafür gehen würde. Fesselnd erzählt Laila El Omari diese moderne Form des Klassikers, der voller Intrigen ist. Dennoch muss man sich fragen, ob es als legitim betrachtet werden kann, das vorliegende Werk als eigenständiges Stück Literatur zu sehen. Jeder, der den Grafen von Monte Cristo kennt, wird sich damit ziemlich schwertun.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    06/2020
  • Umfang:
    256 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    14 Jahre
  • ISBN 13:
    9783649670193
  • Preis (D):
    16,00 €

Bewertung

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