Roxy


Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz
von Neal Shusterman, Jarrod Shusterman
Rezension von Emilia Engel | 16. März 2022

Roxy

Manchmal läuft das Leben nicht so, wie du es geplant hast. Vielleicht reicht schon eine Kleinigkeit, um dich aus der Bahn zu werfen. Du hast Schmerzen? Ich, Roxy, helfe dir und betäube deinen Schmerz. Denn ich verstehe dich und möchte nur, dass du glücklich bist - mit mir. Und haben wir beide nicht eine ganz besondere Beziehung zueinander? Ich helfe dir sehr gerne auch durch die nächste Schwierigkeit, denn wir beide sind doch ein tolles Team, oder?

Isaac und Ivy könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch verstehen sich die Geschwister gut. Da ihre Eltern mit ihrer eigenen Firma und deren Sorgen beschäftigt sind, ist es nur gut, wenn wenigstens die beiden aufeinander achten.
Eines Abends löst Isaac auf einer Party einen Konflikt mit Ivys Freund Craig aus, denn sein Einfluss auf Ivy gefällt ihm ganz und gar nicht. Ivy ist ohnehin schon ein Mädchen, das sich  in schlechter Gesellschaft wohlfühlt und gern gegen die Regeln ihrer Eltern verstößt. Craig und sein ziemlich leichtfertiger Umgang mit diversen Drogen ist jedoch ein Übel, dem er vielleicht ein Ende bereiten kann. Der Konflikt wird handgreiflich und Isaac wird verletzt.
Was auf den ersten Blick als Lappalie aussehen könnte, ist jedoch ernst. Denn Isaac, ein ausgezeichneter Fußballer, will unbedingt aufs College gehen und das schafft er eventuell nur mit einem Fußballstipendium. Also muss er durchbeissen und trotz starker Schmerzen spielen. Als ihm eine Schmerztablette angeboten wird, kommt ein Stein ins Rollen, der nicht aufzuhalten ist. Denn auf diese eine Tablette folgt noch eine und noch eine. Und plötzlich kann Isaac sich gar nicht mehr auf die Schule und seine Zukunft konzentrieren.
Ivy hat ihrerseits andere Sorgen. Endlich gibt sie ihren Eltern schweren Herzens nach und lässt ihr ADHS mit Medikamenten behandeln. Ivy, die immer gern auf Partys gegangen ist und einen draufgemacht hat, die Probleme in der Schule hatte, schafft nun eine 180 Grad Wende. Endlich kann sie sich auf den Schulstoff konzentrieren und fokussiert sich nur noch darauf, ihre Noten stetig zu verbessern. Aber was eigentlich eine Verbesserung sein sollte, entwickelt rasch auch eine Menge Nebenwirkungen.
Eigentlich wollte Isaac keine Schmerzmittel mehr nehmen, nur die eine noch. Eigentlich wollte Ivy gar keine Medikation, doch es scheint ihr ja gut damit zu tun. Eigentlich sind die Geschwister nicht für Drogen und dennoch sind sie in einen Strudel geraten, der sie immer mehr in die Tiefe zieht.

 “Roxy” ist ein atemberaubend spannendes und außergewöhnliches Buch. Neal Shusterman und sein Sohn Jarrod Shusterman greifen damit ein vor allem in den USA aktuelles und sehr brisantes Thema auf. Es geht um die Opioid-Krise. Schmerzmittel, die bei uns in Europa gar nicht oder nur schwer erhältlich sind, werden in den USA relativ einfach für alltägliche Schmerzen verschrieben. Doch diese Opioide führen rasch zu einer Abhängigkeit und irgendwann, wenn diese Mittel zu teuer sind oder nicht mehr verschrieben werden, greifen die Abhängigen auf billigere und illegale Drogen zurück. Die Folgen davon sind leider nur zu häufig tödlich.
Die Protagonisten des Buches verdeutlichen wie leicht und unbeabsichtigt man in eine Abhängigkeit rutschen kann. Isaac wollte zuerst einfach nur die Schmerzen betäuben, um die Möglichkeit auf ein Stipendium nicht zu gefährden. Doch die Folge seiner Abhängigkeit ist, dass ihm plötzlich anderes wichtiger ist als seine Zukunft. Sein ganzes soziales Verhalten ändert sich. War er vorher stark in seinem Freundeskreis vertreten, zieht er sich immer mehr zurück. Seine Schwester Ivy hingegen macht die Wandlung in die entgegengesetzte Richtung - vom Party-Girl zur Streberin. Doch auch bei ihr ist rasch die Abhängigkeit da und zeigt die Schattenseiten, wie zum Beispiel zwanghaftes Aufräumen. Überhaupt schaffen es die Schusterman sehr gut zu zeigen, welche körperlichen und psychischen Auswirkungen Isaacs Schmerzmittel und Ivys Aufputschmittel haben.
Ganz besonders macht dieses Buch, dass die jeweiligen Schmerzmittel, Aufputschmittel und andere Drogen in abwechselnden Kapiteln zu Ivy und Isaac selbst zur Rede kommen. Mit chicen Namen ausgestattet, die auf ihre Herkunft hindeuten, erzählen sie ihre Sicht der Dinge. Wie sie die Menschen abhängig machen, welche Gefühle sie selbst haben und wie sehr sie die Menschen brauchen. Aber auch deren Rivalität untereinander - den jeder will seinen Menschen natürlich bis zum bitteren Ende behalten. Das schlimmste Ende wäre es doch, die Menschen, die sie so gefügig gemacht haben, letzten Endes an die höhergestellen, härteren Drogen zu verlieren. Hauptsächlich Roxy, Isaacs Droge, und Addisson, Ivys Medikament, sind hier die Erzähler. Doch auch die Sicht der anderen Drogen bekommt man zu lesen.
Die Shustermans haben es fantastischt geschafft von der ersten Seiten an - wo der Leser den ersten, erschreckenden Spoiler auf das Ende bekommt - bis zum Ende die Spannung zu halten und zu steigern. Gemeinsam mit Ivy und Isaac spürt man das Herz schneller schlagen und verspürt eine nervöse Unruhe bei all diesen Ereignissen. Man hofft auf ein gutes Ende. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

“Roxy” ist ein hervorragendes, bewegendes und erschreckendes Buch, das keinen Leser und keine Leserin kalt lassen wird. Es reißt den Leser förmlich aus seiner heilen Welt und katapultiert ihn in eine Realität, die so grauenhaft und wahr ist und doch vielen Menschen unbekannt. Es ist ein Buch das wachrüttelt, das unbequeme Wahrheiten erzählt und lange nach dem Lesen noch nachhallt und zum Nachdenken bringt. Ob erwachsene oder jugendliche Leser - mit diesem Buch wird man keinesfalls enttäuscht. Doch das hätten wir bei den Autoren ohnehin nichterwartet. 

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