Klassenfahrten. Sie sind der Höhepunkt eines Schuljahres, eines Schulabschnitts, der Schulzeit. Sie bleiben in Erinnerung, sind etwas, an das wir uns mit einem Lächeln zurückerinnern. Auf manchen dieser Fahrten gibt es Skandale, werden Schüler mittendrin heimgeschickt. Auch die Klassenfahrt, über die Tamara Bach in ihrem Jugendroman erzählt, wird den Beteiligten immer in Erinnerung bleiben - doch keineswegs wegen der lustigen Momente, den besonderen Erlebnissen und schönen Eindrücken…
Klassenfahrt in die Katastrophe
Die Klassenfahrt der 10b sollte einen krönenden Abschluss darstellen, eine letzte gemeinsame Unternehmung im Klassenverband. Doch sie wird zum Alptraum. Sie wird zu einem Ausflug nach den Vorstellungen und dem Werteempfinden einer bestimmten Person. Diese Person legt einfach alles fest: die Ausflüge, den Tagesablauf, die Stimmung. Keiner wagt zu widersprechen, keiner wagt Einspruch zu erheben oder gar eigene Wünsche zu äußern. Alles muss nach Plan verlaufen, alles muss funktionieren. Und es funktioniert zunächst auch. Man zählt die Tage. Man wartet auf den Abend, auf den nächsten Morgen, auf die Rückkehr. Man weiß, dass das Schuljahr bald vorbei ist. Nur noch diese Abschlussfahrt absolvieren, dann sind Sommerferien.
Doch gerade durch diese Starre, diese Lethargie, steuert die 10b auf ein Desaster zu. Ein Handy ist der Ausschlaggeber, ein Handy, dessen Anwesenheit nicht erlaubt ist. Das dennoch da ist. Und irgendwann ist einfach alles zu viel. Jedem. Selbst für Personen, die kein Teil des Klassenverbands sind.
Außergewöhnlich, bewegend, ergreifend
Tamara Bach legt hier einen außergewöhnlichen Jugendroman vor. Einen Roman, dessen Geschichte sehr kompakt wirkt, die jedoch viel größer ist und die Leserschaft viel stärker bewegt.
Schon die Einleitung, die Einführung in die Handlung ist besonders. Es ist ein Dialog zwischen einer Gruppe Schüler. Vielleicht sind es auch nur zwei Schüler, man weiß es nicht, es ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist, was sie uns erzählen. Nämlich von der Klassenfahrt der 10b, die in einer Katastrophe endete. Da wird von Anschlag gesprochen, von Brandstiftung. Es wird über Konsequenzen spekuliert, über Schulverweise und rechtlichen Folgen. Doch was da wirklich passiert ist, auf der Klassenfahrt nach Sankt Irgendwas, das weiß niemand.
Wir Leserinnen und Leser erfahren es. In Form eines Protokolls, das abwechselnd von einer anderen Schülerin oder einem anderen Schüler geschrieben wird, nehmen wir Teil an der Klassenfahrt. Hautnah erleben wir Anreise, Ankunft, Unterkunft, Wanderungen, Gespräche der Schüler mit. Wir erhalten einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt der Schreibenden, aber auch die der Nicht-Schreibenden. Denn die Protokollierenden nehmen kein Blatt vor den Mund. Sie schreiben, was sie denken, was sie empfinden, was sie erleben. Die Sprache wird persönlicher, emotionaler und bald ist klar, dieses Protokoll darf einer bestimmten Person niemals in die Hände fallen. Dieses Protokoll muss unter Verschluss bleiben.
Und so erleben Leserinnen und Leser eine Klassenfahrt, die ganz weit weg von jenen fröhlichen, lustigen und besonderen Erlebnissen ist, an die wir uns erinnern. Es ist eine Klassenfahrt, über der von Anfang an eine beklemmende Stimmung liegt. Diese wird nicht besser, sondern eher schlimmer. Dieses Gefühl geht auf die Leserschaft über, so dass man bald schon überlegt, wie man wohl selbst handeln würde. Man beginnt über bestimmte Ereignisse und Situationen genauer nachzudenken. Man leidet mit, man wünscht sich, die letzten Tage würden schnell vorübergehen.
Das Ende? Das Drama der Abschlussfahrt? Nun, das Drama passiert auf emotionaler Ebene. Es ist keine bestimmte Handgreiflichkeit, kein physischer Übergriff. Es geht auch nicht um eine einzelne Tat, sondern es geht um das Ganze. Es geht um alles, was vor der Fahrt war und was während der Fahrt passierte. Es geht um die Wertvorstellung einer bestimmten Person und die weitreichenden Folgen. Daher gibt es am Ende auch keine Auflösung im klassischen Sinne, keinen Schuldigen und keinen Unschuldigen. Doch es gibt genügend Andeutungen, genügend Beschreibungen, damit die Leserinnen und Leser sich ihr ganz eigenes Bild machen können. Damit sie sich selbst fragen, welchen Ausgang sie erhoffen würden und somit die Geschichte bewusst auf sich wirken lassen.
„Sankt Irgendwas“ ist ein außergewöhnlicher und ergreifender Jugendroman. Akzentuiert erzählt Tamara Bach die Geschichte einer Klassenfahrt, hinter der so viel mehr steckt. Sie bringt Dinge zur Sprache, deutet vieles an, überlässt es aber dann der Leserschaft zu hinterfragen und sich selbst Gedanken zu machen. Diese Geschichte bewegt und wirkt noch nach, wenn der letzte Satz gelesen und das Buch eigentlich schon zugeklappt ist.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:07/2020
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Umfang:128 Seiten
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Typ:Hardcover
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Altersempfehlung:14 Jahre
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ISBN 13:9783551584304
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Preis (D):13,00 €