Wiener Sagen

von Brigitte Weninger, Jakob Kirchmayr
Rezension von Janett Cernohuby | 22. Juli 2014

Wiener Sagen

Fast noch schöner als die klassischen Märchen sind Sagen. In ihnen vermischen sich fantastische Erzählungen, die zusätzlich noch mit wahren historischen Begebenheiten, Personen oder Orten ergänzt werden. Jedes Land und jede Region haben ihre eigenen Sagen, wenngleich es durchaus vorkommen kann, dass manche sehr ähnlich klingen. Auch Österreichs Bundesländer verfügen über einen großen Sagenschatz, wobei der Wiener hier heraussticht. Denn wie kaum anderswo sind hier historische Fakten, Volksglaube, Humor und das bunte Zusammenleben verschiedener Volksgruppen vermischt. Wer sich davon ein Bild machen möchte, für den gibt es im Tyrolia Verlag das Buch "Wiener Sagen".

Kann eine Stadt wirklich über so viele Sagen verfügen, dass man damit ein Buch füllen kann? Ja, kann sie und ihre Zeugnisse sind noch heute vielerorts zu finden. Allein der Stephansdom verfügt über eine Fülle überlieferter Legenden, die natürlich in diesem Werk keineswegs fehlen dürfen. Ganz gleich ob es sich dabei um den "Zahnweh-Herrgott", "Die Dienstboten-Muttergottes", "Die alte Linde zu St. Stephan", "Die drei Teuferl", "Meister Puchsbaums Sturz vom Stephansturm" oder "Die Kegelbahn im Stephansdom" handelt, sie alle finden sich hier wieder. Unweit vom Dom trifft man schon auf das nächste sagenumwobene historische Artefakt, den "Stock im Eisen". Etwas weiter nördlich davon erinnert das Griechenbeisl an den "Lieben Augustin", der zeigt, dass "a richtiger Weaner net unter geht", egal wie schlimm die Lage auch sein mag.
Die Wiener Innenstadt verfügt noch über zahlreiche weitere Sagen, zu denen bekannte wie "Der Basilisk" und weniger bekannte wie "Der tapfere Tscherkesse" gehören. Wenngleich die Innere Stadt mit den meisten Überlieferungen im Buch vertreten ist, gibt es auch zu den anderen Bezirken zahlreiche mehr oder weniger bekannte Überlieferungen. Darunter finden sich "Das Donauweibchen", "Der Lindwurm im Kahlenberg", "Der Rattenfänger vom Magdalenengrund" (manchen bekannt als Rattenfänger von Klosterneuburg), "Die Spinnerin am Kreuz", "Die Teufelsmühle am Wienerberg", "die Penzinger Hexen", "Graf Neidhart und das Veilchenfest", "Die weiße Frau von Hernals" und und und...

Ja, Wien verfügt über genügend Sagen, um ein ganzes Buch zu füllen. Und Wien verfügt sogar über so viele Sagen, dass man am Ende feststellt, die eine oder andere wurde ausgelassen. So vermissten wir zwei Sagen zum Stephansdom: "Die Rache der Toten", die daran erinnert, warum man sich auf einem Friedhof benehmen sollte und "Der heilige Koloman", der zwar bei Stockerau spielt, aber an den auch eine Berührungsrelique im Stephansdom erinnert.
Doch abgesehen davon, ist das Buch eine wunderbare Sammlung alter Legenden, Überlieferungen und Geschichten, die alle über ein Körnchen Wahrheit verfügen. Wie in der Einleitung erwähnt, beinhalten sie zahlreiche historische Zahlen, Ereignisse und Begebenheiten. So erscheinen manche Sagen viel eher wie kurze geschichtliche Berichte, die in lockere Textform gebracht wurden, und weniger als stimmungsvolle Sagen. Andere dagegen klingen dann wieder so fantastisch und stimmig, wie man sich Sagen wünscht. Die historischen Überlieferungen berichten aus zahlreichen Epochen, insbesondere die Türkenbelagerungen bieten viel Erzählstoff. Doch auch wenn es um Richard Löwenherz, Kaiser Rudolf II. von Habsburg, Herzog Otto oder Maximilian II. geht, vermischen sich im Buch Historie mit Legende. Manches wirkt erzwungen, anderes natürlich und stimmig. In sehr vielen spielt natürlich auch der Teufel eine bedeutende Rolle, doch nicht immer bekommt er auch die Seele, die er sich in seinem Handeln erhofft hat. Die Wiener wissen sich gegen ihn zu wehren. Hexen hingegen findet man in den Wiener Sagen eher selten, doch sie sind vorhanden. Besonders ergreifend werden Sagen aber dann, wenn die Autorin darauf hinweist, dass noch heute Erinnerungen auf Fassaden oder Plätzen zu finden sind.
Erzählerisch hat das Buch sehr viele, genauer gesagt 60 schöne wie auch ungewöhnliche Sagen zu bieten. Doch auch für das Auge wurde etwas getan. So ließ man den Künstler Jakob Kirchmayr zu Pinsel und Farbe greifen und das Buch äußerst stimmungsvoll illustrieren.

"Wiener Sagen" ist eine Sammlung alter Überlieferungen, die eine abwechslungsreiche Mischung aus Fakten, Zahlen und Volksglauben darstellt. Das Buch ist für jeden Wiener - egal ab gebürtig oder zugereist - ein wertvolles Stück Kultur. Wenn man es zuvor noch nicht getan hat, wird man nach der Lektüre mit offenen Augen durch die Stadt gehen und an ganz bestimmten Stellen nach Erinnerungen an die hier erzählten Ereignisse suchen.

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