Dämönchen

von Kai Lüftner, Wiebke Rauers (Illustrator*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 26. August 2024

Dämönchen

Auch wenn man es nicht gerne zugibt, der erste Eindruck ist doch oft entscheidend, ob man sich einem Thema oder eine Sache zuwendet oder nicht. Vor allem Kinder reagieren sehr stark auf optische Reize. Zeigt man ihnen etwa eine Auswahl Bilderbücher, werden sie zu jenem greifen, das mit einem auffälligen und auch gewagten Cover heraussticht. Einem Einband, der ungewöhnlich und garantiert nicht das ist, wozu ihre Eltern normalerweise greifen. Genau das trifft auf Kai Lüftners und Wiebke Rauers‘ Bilderbuch „Dämönchen“ mehr als zu. Doch was verbirgt sich hinter dem dämonisch aussehenden Einband?

Von einem Dämönchen, das auszog, die Welt zu entdecken

Eine Geschichte mit Tiefgang. Denn Dämönchen erzählt - wie sollte es anders sein - von einem Dämon. Klein, unheimlich und diabolisch streift es durch die Unterwelt. Hier ist alles unheimlich, dunkel und den Schwefelgestank meint man durch das Buch hindurchriechen zu können. Wer ganz genau hinsieht, erkennt nicht nur Dämönchens finsteren Blick, sondern auch eine kleine Fliege, die an einer Leine hinter ihm herfliegt. Eines Tages wird diese Leine durchtrennt und die kleine Fliege entkommt. Dämönchen folgt ihr, bestrebt sie einzufangen. Der Weg führt hinauf in die Oberwelt. Dorthin wo alles hell und farbenfroh ist. Wo sich ein Blumenmeer statt Lava über eine grüne Wiese statt graue Steinlandtschaft ergießt. Erst noch ängstlich, findet Dämönchen bald schon gefallen an der Oberwelt - und auch seinen Gefährten, die Fliege.

Dämönchen

Großartige Bilder, anspruchsvolle Reime

Kai Lüftner und Wiebke Rauers sind ein eingespieltes Team, das schon so manches tolle Bilderbuch hervorgebracht hat. Sie sind auch ein Team, das sich gerne abseits des Mainstreams bewegt und Themen aufgreift, die für Stimmung sorgen. Genauso verhält es sich mit ihrem neuen Werk „Dämönchen“. Denn während Kinder sich von der düsten Aura des Covers anziehen lassen, wenden sich ihre Eltern (nicht alle) verschreckt von vermeintlich okkulten Symbolen ab.
Jetzt wird es schwierig. Auch für uns. Ein Blick hinein lohnt sich. Wie schon beschrieben, erzählt die Geschichte von einem kleinen Dämon, liebevoll Dämönchen genannt. Geben wir ihm eine Chance, so wie wir sie auch Neil Gaimans Lucifer gaben. Denn Dämönchen lernt, sich von festgetretenen Pfaden abzuwenden und neue Wege einzuschlagen. Wie so oft im Leben, passiert auch ihm das weniger freiwillig, als durch eine Notwendigkeit heraus. Aber wie heißt es so schön, manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden. Bei Dämönchen ist es der Ober-Dämon, der (vielleicht) aus Boshaftigkeit heraus die Leine von Fliege durchschneidet. Eine kleine Handlung, die große Folgen nach sich zieht. Denn die Fliege fliegt nicht nur hinauf zum Licht und in die Oberwelt, sie bringt damit etwas Unerwartetes ins Rollen. Dämönchen folgt ihr und so beginnen sich Oberwelt und Unterwelt zu verbinden. Während der kleine Dämon nach oben klettert, dringen zarte Blütenknospen durch die entstanden Durchgänge hinab in die unheimliche Tiefe. Veränderungen kommen in Gang, die sich auf beide Welten und vor allem die Dämonen auswirken. Das diabolische kleine Wesen aus der Unterwelt wird zu einem herzigen Kerlchen mit Hörnern und altem Symbol mit vielerlei Bedeutung auf der Stirn. Auch der Ober-Dämon sieht in der letzten Szene schon viel freundlicher aus, als noch Seiten zuvor. Wiebke Rauers geht in die Vollen, wenn sie die Welt um Dämönchen herum entstehen lässt. Ihre Bilder sind großartig. Herrlich düster und dämonisch bis hin zu idyllisch schön. Es ist eine große Freude, diese zu betrachten und Dämönchens Entwicklung zu verfolgen.
Erzählt wird die Geschichte von Kai Lüftner. Wortgewaltig und opulent legt er seine Verse an, die mitunter sehr anspruchsvoll und verschachtelt sind. Für Erwachsene kein Problem, für Kinder jedoch schwierig. Vor allem, je weniger Berührungspunkte sie mit Büchern, Literatur und (Vor-)Lesen haben. Das ist auch der Knackpunkt an diesem Buch. Während man sich von den genialen Illustrationen in den Bann ziehen lässt, bringt der Text Ernüchterung mit sich. Freilich, die Geschichte enthält eine wertvolle Botschaft, doch ist diese nicht so leicht zu verstehen und wird - je nach sprachlicher Entwicklung des jungen Publikums - Versweise hinterfragt. Das kann den Lesefluss nicht nur stören, sondern komplett zum Erliegen bringen und die Vorlesenden dazu übergehen lassen, die Geschichte frei zu erzählen. Das geht auch, immerhin handelt es sich hier um ein Bilderbuch, was ja genau das tun will: Eine Geschichte mit Bildern erzählen. Ob man das für sich, seine Familie oder Lesegruppe will, ist natürlich eine andere Frage, die jede*r für sich beantworten muss.

Dämönchen

Mit ihrem „Dämönchen“ bringen Kai Lüftner und Wiebke Rauers ein weiteres ungewöhnliches und besonderes Bilderbuch auf den Markt. Diabolisch verlockend wirkt der Einband auf die Leserschaft, die sich von den Bildern fasziniert, von den Texten aber durchaus überfordert fühlen könnte.

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